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„Auch der beste Sattel scheitert an der Hosennaht“
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Donnerstag, 26. Mai 2016

*** Bitte beachten Sie: Dieser Artikel ist zwei Jahre alt oder älter. Wir haben ihn nicht gelöscht, weil Inhalte wie Tipps, Hintergründe und Technisches noch immer gültig sind. Ansprechpartner, Produkte und Preise können sich aber zwischenzeitlich geändert haben. Für ein Update rufen Sie uns bitte an! ***

Der Erfolg des Fahrrades als Verkehrsmittel hängt nicht nur von der Sicherheit im Straßenverkehr ab, sondern auch vom Fahrkomfort. Wer nicht schmerzfrei auf dem Velo sitzt, der wird das Rad schlicht nicht benutzen. Wie man am besten sitzt, erklärt Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln im Interview mit dem pressedienst-fahrrad.

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pd‑f: Radfahren ist nicht nur beliebt, sondern auch gesund. Warum?

Ingo Froböse: Wir haben im Alltag relativ wenig langandauernde Belastungen. Das hat für unseren Organismus negative Auswirkungen. Radfahren kann das auf ideale Weise kompensieren und lässt sich ideal in den Alltag integrieren.

Ohne Fahrkomfort kein Fahrradfahren. Wie blickt der Mediziner auf das Thema Sattel?

Der Sattel muss im Kontext gesehen werden. Es sind die drei Kontaktpunkte, die uns Probleme machen können: Pedale/Füße, Lenkergriffe/Hände und Sattel/Gesäß. In Umfragen haben wir herausgefunden, dass mindestens 80 Prozent der Radler regelmäßig über Sitzprobleme klagen.

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Gibt es schmerzfreies Sitzen beim Radfahren überhaupt?

Sitzen auf dem Fahrrad bedeutet, dass eine sehr kleine Kontaktfläche 30 bis 90 Prozent des Körpergewichtes trägt. Eine solche Belastung ist erst einmal nicht schlimm, weil Druck für den menschlichen Organismus nichts Negatives ist, solange er eine bestimmte Intensität nicht überschreitet.

Auch bei der Druckbelastung während des Radelns gilt also die alte Losung, „Die Dosis macht das Gift“?

Genau so ist es. Es geht um die Menge des Drucks und um den Belastungszeitraum. Selbst bei einer um 30 bis 40 Prozent reduzierten Durchblutung infolge des Drucks ist das vielleicht unangenehm, aber nicht gefährlich. Wenn man aus dem Sattel geht oder wieder abgestiegen ist, dann normalisiert sich das bereits nach drei bis fünf Minuten. Hier ist der Alltagsradler klar im Vorteil: Anders als Tourenradler oder Radsportler, die oft über Stunden sitzen, sitzt er meist nur kurze Zeiträume über den Tag verteilt auf dem Rad.

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Warum klagen dennoch so viele Alltagsradler über Sitzprobleme?

Ich glaube, dass die Menschen mit völlig falschen Vorstellungen an einen Sattel herangehen. Gerade unter Gelegenheitsradlern und Nichtradlern gibt es das Anspruchsdenken, dass man das Sitzen auf dem Sattel quasi gar nicht spüren darf. Jedes Drücken beim Sitzen wird mit negativen Assoziationen verbunden. Das scheint sehr tief verwurzelt zu sein und greift wahrscheinlich auf archaische Muster zurück, schließlich befindet sich der Druck im direkten physischen Sektor der männlichen Potenz und weiblichen Fruchtbarkeit. Das weckt einen gewissen Fluchtinstinkt, könnte man sagen, und ist damit Einfallstor für angst- und schmerzorientiertes, aber faktenfernes Produktdesign und Marketing.

Ein bisschen Drücken gehört zum Radfahren also dazu?

Absolut. Ein Sattel ist einfach etwas anderes als ein Sessel. Er hat grundsätzlich andere Funktionen: Er muss dem Fahrer Bewegungsfreiheit lassen, gleichzeitig die Haltung auf dem Rad stabilisieren und Sicherheit und Kontrolle übers Rad vermitteln. Das drückt dann nun mal, wenn 60 Prozent des Körpergewichtes auf so einer kleinen Fläche lasten. An sich ist der Körper aber für dieses Sitzen gut präpariert. Die beiden Sitzbeinhöcker können diese Arbeit bestens verrichten. Allerdings muss man dem Körper auch Zeit zugestehen, sich an diese Sitzsituation zu gewöhnen. Deswegen klagen auch Seltenradler schneller als geübte Radfahrer.

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Welche Bedeutung hat die Sattelposition für den Sitzkomfort?

Die Einstellung ist für Leistungsentfaltung und Komfort von entscheidender Bedeutung. Der beste Sattel nützt ohne richtige Montage wenig. Zum einen muss der Sattel fürs Pedalieren den richtigen Abstand zur Tretkurbel haben. Grundsätzlich sollte er einigermaßen in der Waagerechten ausgerichtet sein. Beim Abstand zum Lenker orientiert man sich durch ein Lot, das bei waagerechtem Kurbelstand von der Kniescheibe des vorderen Beins durch die Pedalachse fällt. Bei dieser Einstellungsprozedur macht der Fahrradfachhandel einen sehr guten Job.

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Wie ist der aktuelle Stand der Forschung zur fast unüberschaubaren Auswahl an Sätteln?

Nicht nur, dass die Auswahl an Sätteln verwirrend groß ist, viel schlimmer ist ihre oft geringe funktionelle Qualität. Die Gestaltung von Sätteln hat häufig wenig damit zu tun, was der Mensch braucht, sondern was schick, schmerzfrei oder sportlich aussieht. Gefälliges Design steht dann über der Funktionalität der Biologie.

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Wie kann sich der Radfahrer bei der Sattelwahl vor solchem Design- und Marketing-Schnickschnack schützen?

Gut ist, was sich gut anfühlt, deshalb sollte man Sättel vor allem ausprobieren. Jeder Hintern ist anders. Nicht jeder Sattel, der als komfortabel gilt, muss am eigenen Gesäß passen. Ein guter Sattel muss sich dem Körper anpassen können, er muss ihn unterstützen, um ihm gleichzeitig auch ausreichend Bewegungsfreiräume fürs Radeln zu geben. Deswegen gilt auch hier: „Form follows function“!
Das zweite ist: Misstrauen Sie in der Werbung dem Begriff Ergonomie! Denn Ergonomie ist höchst individuell. Ergonomie als Begriff sagt nichts aus. Ergonomie ist schlicht eine Grundbedingung, die jeder Sattel erfüllen muss. Ergonomie ist kein Qualitätskriterium. Man muss sich von der Idee der universellen Ergonomie lösen – so stimmt es etwa nicht, dass ein Sattel Löcher haben muss.

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Braucht frau den Damensattel und mann den Herrensattel?

Grundsätzlich erst einmal nicht. Solange der Abstand der Sitzbeinhöcker stimmt und die Formgebung des Sattels zur Haltung auf dem Rad und damit zur Last auf dem Gesäß passt, gibt es für den Alltagsradler keinen Grund für eine geschlechtsspezifische Unterscheidung. Wir haben diese beiden Parameter – Höckerbreite und Last – für den italienischen Sattelhersteller Selle Royal in einer Studie erstmals in eine Matrix zusammengeführt. Diese umfasst drei Sitzhaltungen auf dem Rad und drei Sitzbeinhöckerbreiten. Aus diesen neun verschiedenen Sätteln lässt sich dann einfach der ideale Sattel ermitteln.

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Sind weiche Sättel automatisch bequem?

Mitnichten, das exakte Gegenteil ist der Fall: Man darf nicht zu weich sitzen! Denn durch den Sitzdruck wird weiches Sattelmaterial aus der Druckzone an deren Ränder gedrängt und bildet dort Wülste, die Schmerzen provozieren. Hautreaktionen, Wundscheuern und Schwellungen sind häufig die Folgen. Aber auch diese sind bis zu einem gewissen Maße normal und okay, sofern sie binnen 18 bis 24 Stunden wieder verschwunden sind. Das zeigt gut, dass sich die Einstellung, also die Sicht auf den Sattel, völlig ändern muss. Weich ist nicht bequem und das Sitzen auf härteren Sätteln bedarf nun einmal einer gewissen Gewöhnung.

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Neben diesen Druckaspekten des Sitzens gibt es auch den Formschluss, also die schlichte Passform von Sattel und Gesäß. Worauf muss der Alltagsradler achten?

Der Radsportler ist beim Sitzen schon recht nahe am Optimum. Er hat eine Radhose mit speziellem Polster an, schützt sich durch Sitzcreme vor Reibung und greift zum harten Sattel. Der Alltags- und Gelegenheitsradler steckt in dem Dilemma, dass seine Kleidung auch abseits des Fahrens funktionieren muss. Der beste Sattel scheitert an der Hosennaht: Eine Jeans-Hosennaht reibt nun mal. Da kann man wenig ändern. Aber damit ist das Sitzkomfort-Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen. Dann hilft nur noch, relativ regelmäßig aus dem Sattel zu gehen und so für Entlastung der betroffenen Stellen zu sorgen. Dabei ist es egal, ob dies bei der Fahrt oder an der Ampel passiert.

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Zur Person:

Prof. Dr. Ingo Froböse ist Leiter des „Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung“ an der Deutschen Sporthochschule Köln und gilt als einer der profundesten Experten zum Thema Fahrrad und Ergonomie in Deutschland.

 

 

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