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Fahrradbranche: Zwischen Rekordzahlen und Coronavirus
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Mittwoch, 11. März 2020

*** Bitte beachten Sie: Dieser Artikel ist zwei Jahre alt oder älter. Wir haben ihn nicht gelöscht, weil Inhalte wie Tipps, Hintergründe und Technisches noch immer gültig sind. Ansprechpartner, Produkte und Preise können sich aber zwischenzeitlich geändert haben. Für ein Update rufen Sie uns bitte an! ***

Fahrradfahren boomt. Das unterstreichen die neuen Marktzahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) für 2019, die am 11. März 2020 in Berlin veröffentlicht wurden. Gerade die E‑Bike-Verkäufe geben im wahrsten Sinne des Wortes Rückenwind. Doch trotz aller Rekordzahlen schwingt auch Skepsis für 2020 mit: Der Einfluss des Coronavirus macht sich auch im Fahrradmarkt bemerkbar.

Für Branchenexperten war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die magische Schallmauer von einer Million verkaufter E‑Bikes pro Jahr fallen würde. Die Zahl, die Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbandes, am 11. März in Berlin bei der Präsentation der Marktzahlen für 2019 nannte, war trotzdem eine dicke Überraschung: Mit 1,36 Millionen verkaufter E‑Bikes wurde die angestrebte Grenze mehr als deutlich überschritten. Fast jedes dritte der 2019 insgesamt 4,31 Millionen verkauften Fahrräder hat mittlerweile einen Motor. Der E‑Bike-Markt in Deutschland wuchs im vergangenen Jahr um weitere 39 Prozent – und damit noch einmal schneller als im Vorjahr, als die Zuwachsrate bei 36 Prozent lag. Selbst beim ZIV hatte man mit einer derartigen Geschwindigkeit nicht gerechnet. Die Prognose, dass in ein paar Jahren 50 Prozent der Räder mit Motor kommen, ist deshalb momentan nicht mehr so abwegig.

Leasing lässt die Umsätze wachsen

Während E‑Bikes boomen, war der Verkauf von Fahrrädern hingegen rückläufig. Der Durchschnittspreis aller Räder stieg unter anderem dadurch sprunghaft. 2019 wurden im Durchschnitt 982 Euro für ein Zweirad ausgegeben. Im Jahr zuvor waren es noch 756 Euro. Dies ist auch auf das wachsende Leasing-Angebot zurückzuführen, das per Gehaltsumwandlung erst bei hochpreisigen Rädern funktioniert. Der Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ) verweist in einer Pressemitteilung darauf, dass bei manchen Fachhändlern bereits 70 Prozent (!) des Umsatzes mit Leasing-Rädern gemacht werde. In der Fahrradbranche bleibt, auch aus diesem Grund, der Fachhandel der wichtigste Vertriebskanal, selbst wenn das Online-Business wächst. Speziell E‑Bikes sind weiterhin beratungs- und service-intensiv, der Fachhändler vor Ort der vertraute Ansprechpartner. So ist es kaum verwunderlich, dass der Umsatz im Fachhandel ebenfalls um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugelegt hat. Die wachsende Markenbekanntheit einzelner Fahrrad- und Antriebshersteller und die stetigen technischen Weiterentwicklungen im E‑Bike-Bereich würden zusätzlich das Interesse der Endverbraucher steigern, so der Handelsverband. Hinzu kommt, dass die aktuell milden Winter Radfahrer ganzjährig aufs Rad bringen.

Fabriken in China stehen still

Für 2020 ist jedoch noch nicht abzusehen, ob der Trend anhält. Das Coronavirus ist auch in der Fahrradwelt Thema, da ein Großteil der Fahrradrahmen und ‑Komponenten in China, anderen asiatischen Ländern oder auch Italien gefertigt wird. Laut ZIV befürchten mehr als 80 Prozent der Verbandsmitglieder Auswirkungen und rechnen mit längeren Lieferzeiten. Die konkreten Aussagen sind allerdings von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Ist es deshalb zu empfehlen, sich in diesem Jahr möglichst früh mit dem Fahrradkauf zu beschäftigen? Die Läden sind aktuell voll und die bereits verschiffte Ware ist schon da. Bei einer möglichen Nachlieferung könnte es hingegen eng werden, befürchten Branchenkenner. Stefan Stiener, Geschäftsführer von Velotraum, rät deshalb zur langfristigen Planung: „Statt der üblichen acht Wochen Vorlaufzeit für ein nach unserem Baukasten gebauten Rad würde ich eher mit einem halben Jahr planen.“ Dabei sei sein Unternehmen weniger von den Auswirkungen betroffen, weil viele der Produkte aus Taiwan oder Deutschland kommen. Da er allerdings auch auf Zulieferer aus anderen Ländern Asiens angewiesen ist, hofft er, dass die Lage sich bald stabilisiert. „Schließlich gehen derzeit die Neuinfektionen in China zurück“, gibt sich Stiener hoffnungsvoll.

Gute Lagerhaltung puffert viel ab

Dass die Saisonplanung in diesem Jahr auch mit Glück und Weitsicht zu tun hat, bestätigt Alexander Kraft, Pressesprecher beim Liegeradhersteller HP Velotechnik: „Unsere Ware war schon im Container, als das Thema Corona Fahrt aufgenommen hat.“ Der Hersteller habe deutlich mehr vorgeordert und die Lager seien voll. Kraft weist allerdings darauf hin, dass die spürbaren Auswirkungen erst kommen, wenn das Virus sich in Deutschland weiter verbreitet: „Die Situation ist äußerst dynamisch. Der April mit den Frühjahrsmessen könnte sehr herausfordernd werden.“ E‑Bike-Hersteller Riese & Müller konnte die Situation in den letzten Wochen ebenfalls gut steuern, wie Gründer und Geschäftsführer Heiko Müller bestätigt: „Wir haben derzeit keine Lieferverzögerungen aufgrund des Coronavirus. Entscheidend werden sicher die nächsten Wochen und vor allem die weitere Entwicklung in Europa sein.“ Ähnliches hört man auch vom Hamburger Anbieter Stevens: „Wir gehen von einem relativ normalen Saisonverlauf aus“, urteilt Volker Dohrmann, Leiter Strategie, Produkt und Marketing. Die meisten Produzenten in China hätten bereits wieder die Arbeit aufgenommen. Staus in der Logistik werde es jedoch trotzdem geben. Dohrmann rechnet mit Lieferverzögerungen bis zu sechs Wochen. Der Großteil werde aber von Lagerbeständen kompensiert. „Für Verbraucher gibt es auch noch Bestandsware im Handel“, warnt Dohrmann vor Panikkäufen. Auch beim schweizerischen E‑Bike-Premiumhersteller Flyer sieht man sich aktuell „gut bevorratet, um unsere Produktion weiterhin auszulasten“, wie Firmensprecherin Anja Knaus bestätigt. Allerdings hätten einige Lieferanten Verspätungen. Diese könnten aber über Modellverschiebungen bislang noch kompensiert werden. „Sollte sich die Situation nicht verbessern, müssen wir davon ausgehen, dass es zu Verzögerungen in der Produktion kommen wird“, vermutet Knaus.

Anmerkung der Redaktion: Alle im Text zitierten Aussagen sind Momentaufnahmen. Die Geschwindigkeit, mit der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus ergriffen werden und welche Folgen diese haben, kann man nicht vorhersehen. Wir haben uns nach intern langen Diskussionen trotz der teilweise fast schon hysterischen Berichterstattung rund um das Coronavirus für eine Veröffentlichung zum Thema entschieden. Das Leben geht abseits des Coronavirus weiter. In diesem Jahr werden sich wieder Millionen für den Kauf eines E‑Bikes oder Fahrrades interessieren und wir wollen denjenigen einen aktuellen Kaufüberblick liefern.

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