Mountainbike, Wandern, Natur – Wege für ein Miteinander
Montag, 19. Juli 2021
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Mountainbiker zerstören angeblich Wege, verscheuchen Wild, gefährden Wanderer. Was ist dran an diesen Vorwürfen? Dort, wo alle Betroffenen an einem Strang ziehen, entstehen gute Lösungen.
Nicht erst seit Corona oder der Erfindung des „E‑Bikes“ ist Mountainbiken im Alltag vieler Menschen angekommen. Mountainbiken ist deutschlandweit nach Wandern, Joggen und Walking die beliebteste Outdoor-Sportart. Bei den Alpenvereinen in Deutschland und Österreich gehört es zu den Kernsportarten und steht damit auf einer Stufe mit dem Bergsteigen. Kein Wunder, fahren doch die meisten der bergwandernden und bergsteigenden Mitglieder regelmäßig mit dem MTB.
Die für heute angekündigte Live-Diskussion zum Thema „Miteinander in den Bergen“ fällt wegen der Hochwassersituation in Bayern aus.
Konflikte: Gezählt weniger als gefühlt
Was ist dran an Berichten über Streit oder Tätlichkeiten zwischen RadfahrerInnen und WandererInnen? „Einzelne kritische Begebenheiten nehmen über soziale Medien schnell den Weg in die Öffentlichkeit“, findet Ulrich Schraml, Leiter der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg. Der Konflikt werde in den Vordergrund gestellt. „Insofern sind Medien unter Umständen kein guter Spiegel für die alltägliche Realität“.
Diese Realität sieht in seiner Studie über „Walderholung“ in Schwarzwald und Schwäbischer Alb so aus: Fußgänger und Radfahrer erleben überwiegend „eine angenehme und konfliktfreie Zeit“ im Wald. Sieben Prozent der rund 3.000 Befragten fühlen sich von anderen gestört. Sofern die Störungen speziell Radfahrer betreffen (und nicht allgemein Rücksichtslosigkeit oder Überfüllung), liegt das unter Umständen an der höheren Geschwindigkeit der Radler. Über die Hälfte der Befragten gibt allerdings an, schon einmal gefährliche Situationen mit Radfahrern erlebt zu haben.
Dem Deutschen Wanderverband zufolge hatten die meisten Wanderer selten oder nie Probleme mit anderen „Naturnutzenden“. Ein erhöhtes Konfliktpotenzial zu Stoßzeiten stellt der Österreichische Alpenverein (ÖAV) fest. In seiner Umfrage geben über die Hälfte der Befragten aber an, dass Mountainbiker bei Begegnungen freundlich, rücksichtsvoll und mit angepasster Geschwindigkeit unterwegs waren.
Entscheidend ist laut Schraml nicht so sehr, welcher Nutzergruppe man begegnet, „sondern vielmehr wie man einander begegnet.“
Erosion: Kaum Unterschied zwischen Wandern und Biken
Mountainbiker beanspruchen Wege nicht stärker als Wanderer oder andere Naturnutzer, fanden Studien in Nordamerika heraus. Volker Audorff, Sportökologe an der Uni Bayreuth, kann das für den Ochsenkopf im Fichtelgebirge bestätigen. Zwar gebe es in Einzelfällen Schäden durch Mountainbiker an Wurzeln oder am Boden. Insgesamt erkennt der Wissenschaftler aber wenig Unterschied zwischen Spuren von Radlern, Reitern und Fußgängern.
Ohnehin entsteht der größte Eingriff in die Natur durch das Anlegen von Wegen, gibt das Mountainbike Tourismusforum Deutschland zu bedenken. Danach sei die Erosion beim Wandern und Mountainbiken etwa gleich, wenn Biker beim Bremsen nicht unnötig Erosion verursachen. Zu einer „sauberen Fahrtechnik“ ruft auch der DAV auf – und lehrt genau das in seinen MTB-Kursen.
Dass jeder auf den Wegen bleibt, scheint ohnehin Konsens. Die Deutsche Initiative Mountainbike (DIMB) und der DAV rufen einhellig auf, nicht querfeldein zu fahren. Auch das Ausweichen von Pfützen und Abkürzen von Spitzkehren beschädigt den Boden. Das altbekannte Alpenvereinsschild „Abschneider zerstören die Vegetation“ gilt also nach wie vor – für alle, die in der Natur unterwegs sind.
Mehr Rücksicht auf Tiere
Auf Wegen und Trails zu bleiben trägt gleichzeitig dazu bei, Wildtiere weniger zu stören. Manche können sich im gewissen Rahmen an Störungen durch „wegegebundene“ Sportarten wie das Mountainbiken gewöhnen. Zwar gibt es Erkenntnisse, dass Radfahrer weniger heftige Reaktionen auslösen können als Wanderer (weil die Störung kürzer dauert), aber „letztlich ist es egal, ob ein Jäger, Wanderer oder ein Mountainbiker ein Tier stört“, sagt Ulrich Schraml von der FVA. Jede Störung kann gravierende Folgen für das Tier haben.
Im Fichtelgebirge beobachtet Volker Audorff für seine Studie, dass die Tiere ihren Rhythmus an die menschlichen Waldbesucher anpassen und auf Dämmerung und Nacht ausweichen. Er empfiehlt, zu diesen Zeiten nicht zu fahren und bekommt Unterstützung von DIMB und DAV. Der fordert von allen Sportlern, die in der Natur unterwegs sind, bei Dämmerung und nachts auf Aktivitäten zu verzichten.
Lieber als ein generelles Fahrverbot zum Schutz der Tiere hätte Audorff solide Daten: Wo fahren wie viele Mountainbiker, wo halten sich Wildtiere auf. „Dann kann man mit verschiedenen Interessensgruppe gute Lösungen aushandeln“, sagt der Wissenschaftler. Dazu gehört, gute Wegstrecken fürs Biken ausweisen.
Komplexe rechtliche Lage
Zu all dem gesellen sich Bedenken von Waldbesitzern, Bauern oder Almwirten. Sie sorgen sich über Schäden an Wald, Wegen und Ernte – und, dass sie bei Unfällen haften könnten. Alles zusammen hat eine Menge von Regelungen hervorgebracht, die sich oft genug von Land zu Land und von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
In Bayern hat zuletzt das Umweltministerium mit einem „Vollzug“ für Unruhe gesorgt, also einer internen Anordnung, wie die nachgeordneten Umweltbehörden geltendes Recht anwenden sollen. Demnach können Fahrverbote eingerichtet werden, wo „gefahrloses Überholen“ nicht möglich ist. Die viel diskutierte Breite eines Weges ist dabei nur eines von mehreren Kriterien, ob ein Weg zum Biken geeignet ist oder nicht.
Wie geht es besser?
In der Praxis haben Verbote regional dazu geführt, dass massiv legale Strecken ausgewiesen werden, z.B. in den Skigebieten von Sölden oder Ischgl oder an vielen Stellen in Baden-Württemberg. Im Idealfall werden beim Freigeben oder Bau von Mountainbike-Strecken die Interessen aller Beteiligten gewahrt: Von Wanderern und Bergsteigern, Mountainbikern (die wiederum ganz unterschiedliche Vorlieben an die Strecken haben), Land- und Forstwirten, Jägern, Touristikern und – nicht zuletzt – die der Natur. Eine Reihe von Beispielen, wo das ganz gut funktioniert, gibt es bereits.
Graubünden: Rücksicht und Angebote
„Koexistenz“ heißt das Zauberwort im schweizerischen Graubünden, was bedeutet: Wege sind grundsätzlich für alle da. Schilder weisen darauf hin, dass Radfahrer und Wanderer hier gemeinsam unterwegs sind. „Begegnungskonflikte“ werden unwahrscheinlicher, weil jeder weiß: Der andere darf auch hier sein – niemand muss sich über Regelverstöße ärgern. Rücksichtnahme ist oberstes Gebot. Zusätzlich werden die Benutzergruppen gezielt gelenkt: durch attraktive Angebote dort, wo Wanderer und Mountainbiker besser gesondert unterwegs sein sollten. So werden z.B. Downhillstrecken eigens für Biker ausgewiesen. Ein Angebot, was vom Großteil der Radfahrenden angenommen wird.
Wienerwald: Gute Trails sind effektiver Naturschutz
Nur wenige Kilometer vom Ballungsraum Wien entfernt können Biker ganz legal Trails fahren. Der Trail- und Konzept-Entwickler Alexander Arpaci hat die Beteiligten im Biosphärenpark Wienerwald an einen Tisch gebracht. In dem Schutzgebiet mit vielen seltenen Pflanzen- und Tierarten ist Harald Brenner für den Naturschutz verantwortlich. Gute, für Biker attraktive Trails zerstören die Natur seiner Erfahrung nach nicht, sondern schützen sie: „Unser Ansatz ist, legale Angebote zu schaffen, um ökologisch sensible Gebiete zu entlasten“, sagt der Forstwirt.
Manche Wege sind für Biker gesperrt, manche für Wanderer und manche werden gemeinsam genutzt. So wurden im Wienerwald 1.200 Kilometer Trails geschaffen – mit ganz verschiedenen Schwierigkeitsstufen, Im Gegenzug sind in den empfindlichen Kernzonen weder Fußgänger noch Radfahrer erwünscht. Noch hält sich nicht jeder an die Verbotsschilder, noch ist nicht alles perfekt im Wienerwald.
Aber die Beispiele zeigen: Gut gemachte Wegekonzepte funktionieren, reduzieren Konflikte, schützen die Natur und sind besser als Verbote.
Sehenswerte Sendung zum Thema Mountainbiken im BR
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