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„Macht Sinn, macht Spaß, macht Mut“–Die Mut-Tour macht Station in Göttingen
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Donnerstag, 28. Juli 2022

Die Mut-Tour ist ein Projekt des 2020 gegründeten Vereins www.mut-foerdern.de, der sich in Form einer Selbsthilfeorganisation der Aufklärungsarbeit über psychische Erkrankungen widmet und Station auf dem Göttinger Marktplatz machte. Die Tandem-Tour, die sich besonders an von Depression Betroffene richtet, führt jedes Jahr über vier bis zehn Etappen auf unterschiedlichen Strecken durch Deutschland. Im Zentrum der Tour steht für die Teilnehmenden die Gemeinschaft, die körperliche Bewegung und der Austausch. Mit aktiver Pressearbeit wird für mehr Offenheit, Wissen und Mut im Umgang mit Depression geworben. Kerstin ist zum ersten Mal dabei und Peter fährt schon seit 2014 mit. Im Interview erzählen sie Alexander Giebler vom pressedienst-fahrrad von ihren Erfahrungen und dem Sinn der Mut-Tour.

pressedienst-fahrrad: Mut-Tour. Ein spannender Name. Wofür bedarf es Mut bei der Tour? Was genau soll gefördert werden?

Kerstin: „Ich glaube, für mich persönlich steht Mut dafür, dass man mutig ist, über die Depression zu sprechen mit Freund:innen, Bekannten, Familie und dann auch im nächsten Schritt mit Ärzt:innen. Einfach um sich selber zu helfen. Und zum anderen bin ich jetzt auch mutig, weil ich mitfahre, dass ich mich körperlich bewege und mutig bin für andere Betroffene. Ja, das ist für mich persönlich fördernd.

Welche Bedeutung hat der Smiley, den Ihr mit Euch führt?

Peter: „Damit wollen wir alle Betroffenen repräsentieren, die es sich nicht erlauben können, ihre Depression öffentlich zu machen. Berufliche Benachteiligung, Mobbing… der Smiley dient als Symbol für die Anderen.“

Fahren ausschließlich Betroffene von Depression bei der Tour mit?

Kerstin: „In unserer Gruppe sind ausschließlich Betroffene, aber es fahren auch Angehörige. Ich würde jetzt mal behaupten, dass die meisten Betroffene sind oder zumindest depressiven Erfahrungen gemacht haben.“

Peter: „Ich hänge noch was dran: Es sind in Deutschland sehr viele Leute von Depressionen betroffen und es ist eben nicht so, wie man gemeinhin denkt: Man hat die Depression das ganze Leben lang, sondern es gibt auch Leute, die haben einmalig eine Depression und dann war’s das. Oder es kommt irgendwann wieder. Aber es ist nicht so, dass man Depression hat und dann bis zu seinem Lebensende in der akuten Phase ist. Das sind schwere Krankheiten mit individuell verschiedenen Verläufen, die aber auch gut behandelbar sind.“

Ihr macht heute Station in Göttingen. Wie lange seid ihr schon unterwegs und was sind die nächsten Ziele? Wo geht es noch hin?

Peter: „Also ich bin heute quasi mit dieser Etappe gestartet, aber dieses Team ist in Aurich gestartet. Von Nordfriesland ist man erstmal nach Ludwigslust, nördlich von Berlin gefahren, dann über Berlin nach Glauchau, südlich von Leipzig. Und dann mussten wir leider aus Krankheitsgründen abbrechen. Und jetzt geht es in Göttingen weiter. Das Team fährt insgesamt ungefähr 1.500 Kilometer. Und es gibt auch ein Team, wo Menschen wandern und Pferde tragen das Gepäck.“

Worauf soll die Tour besonders aufmerksam machen? Also, was soll sie Betroffenen oder auch Angehörigen von Betroffenen verdeutlichen?

Kerstin: „Zum einen ist es, die Sichtbarkeit zu erhöht. Man sieht es auch in den Teams, dass alle möglichen Menschen betroffen sein können oder was mit der Krankheit zu tun haben können. Also, das ein bisschen aufzubrechen, was sonst verborgen ist.“

Peter: „Bei den Selbstbetroffenen, zu lernen darüber zu reden. Weil das der Anfang ist, damit gut umzugehen. Bei denen, die nicht betroffen sind, Verständnis zu entwickeln. Und bei denen die Angehörigen sind, das Leben zu erleichtern. Denn viele denken ‚Oh, was kann ich tun?‘, und tun dann zu viel oder das Falsche. Wie bei einem Blinden. Der will auch nicht von Ihnen über die Straße gezogen werden. Sie wollen aber helfen, da was zu entwickeln und natürlich auch sich selbst zu informieren. Es gibt Selbsthilfegruppen, wo man sich mit Betroffenen austauschen kann. Wir sprechen ganz wenig über die Erkrankung in unserer Gruppe. Wir haben es halt und können auch mal drüber sprechen. Aber es ist nicht so, dass wir permanent uns darüber unterhalten.“

Wie läuft so ein typischer Tag auf Mut-Tour eigentlich ab?

Peter: „Mit dem Mut ist auch so: wir übernachten zum Beispiel wild. Normalerweise haben wir immer nur Start und Ziel an einem festen Platz. Unterwegs fahren wir entlang einer vorgegebenen Route, die aber vor allem durch die Natur führt. Also ganz wenige Radwege, mehr Wald- und Feldwege. Und wenn wir dann fertig sind, suchen wir uns ein Quartier. Wir klingeln irgendwo oder wir gehen auf einen Rasen und kochen jeden Abend schön. Also, das ist ja auch schon mutig. Und dann fragen manchmal die Leute, Wo ist denn Ihr Motor? Was, das ist ein Bio-Bike? Das ist aber mutig!‘“

Kerstin: „Also, ich mache mich nach dem Aufstehen erst mal ein bisschen fertig, schlafe nicht viel. Ich bin eher ein Frühaufsteher. Dann packe ich meine Sachen zusammen und wir machen ein gemeinsames Frühstück.“

Und das habt ihr alles mit? Oder geht Ihr auch mal einen Kaffee trinken?

Kerstin: „Also die Grundausstattung haben wir eigentlich immer dabei. Ansonsten gehen wir abends einkaufen und können uns morgens gut vorbereiten. Wenn es zwischendurch passt, gibt es eine kleine Kaffeepause. Heute ist zum Beispiel ein voller Tag, da dann eher nicht.“

Wie kam es eigentlich zu der Idee mit dem Tandem?

Peter: „Unser Motto ist: Einer trage die Last des anderen. Man hat Verantwortung. Für manche ist das auch ganz schwer. Das ist ein gutes Symbol und eine schöne Sache. Und man fällt natürlich auf! Wenn wir hier drei Autos stehen hätten, würden die nicht so auffallen.“

Habt ihr das Gefühl, dass sich die letzten zwei Jahre der Coronakrise bemerkbar gemacht haben? Also, in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit?

Kerstin: „Ich denke, sowohl als auch. Also ich kann mir vorstellen, dass durch die Pandemie die Zahlen auf jeden Fall gestiegen sind, denn die Isolation führt auch zu mehr Einsamkeit. Und ich denke, es ist möglich, dass je mehr Menschen darüber sprechen, gerade in meinem Umfeld sind viele junge Leute, sich auch mehr Menschen trauen, sich zu öffnen.“

Peter: „Ja, darüber zu reden ist ja heute nicht mehr so schwer, weil es so viele haben und weil auch Prominente sich äußern.“

Ist das dann eine Botschaft von euch? Wenn du betroffen bist, suche dir eine Gruppe, suche Dir Kontakt zu Leuten, die selber betroffen sind?

Kerstin: „Hilfe zur Selbsthilfe, ja.“

Peter: „Das ist auf jeden Fall so, aber man muss auch sehen, dass es viel zu wenige Therapeuten und Klinikplätze immer noch gibt. Das ist ein Missstand, auf den wir auf jeden Fall auch aufmerksam machen wollen.“

Kerstin und Peter, ich danke Euch sehr für das Gespräch und wünsche Euch eine erlebnisreiche Tour.

Pressedienst-Fahrrad | Alexander Giebler


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