Gemeinsam auf den Weg machen
Immer dieselben Wut-Postings
Die Sätze lauten: „Nicht die Radwege sind gefährlich, sondern die darauf fahren (sic).“ Dicht gefolgt von „Wann kommt denn für Fahrräder die Kennzeichenpflicht, und wann zahlen die möchtegern Jan Ullrichs denn Steuern? (sic)“ Und natürlich die Dauerbrenner-Forderung: „Wird Zeit wieder einen Fahrradführerschein einzuführen. Viele Radfahrer meinen sie hätten Narrenfreiheit! (sic)“ Geht es in einer Meldung etwa noch darum, Parkplätze umzuwandeln oder auf Kosten von Straßen Fahrradspuren einzurichten, wird der Ton noch schärfer: „Wer sich hat das einfallen lassen, sollte erschossen werden!!!! (sic)“
Preschen, pöbeln, pampen
Den Fahrrad-Hass ungefiltert in virtuelle Kommentarspalten zu blöken ist eine Sache. Ganz anders wird es, wird mir, ihm als Fahrradfahrerin auf der Straße tatsächlich zu begegnen. Der rechtsabbiegende Autofahrer, der mich mangels Schulterblick nur deshalb nicht umhobelt, weil ich rechtzeitig bremse und der mich dann anpöbelt, als ich ihn anschreie, ist da noch das Harmloseste. Umgekehrt weiß jede:r Autofahrende von Gelegenheiten zu berichten, bei denen Radler:innen unbeleuchtet und millimeternah an der Kühlerhaube vorbeipreschen.
Die Macht der Sprache
Ich bin nicht die Einzige, die das Gefühl hat, dass sich der Konflikt zwischen Autofahrenden, Radfahrenden und Fußgänger:innen verschärft hat. Gerade in Großstädten wie Berlin und Hamburg wird dieser Konflikt, in dem es nicht selten handgreiflich wird, als symptomatisch für eine Veränderung oder Spaltung in unserer Gesellschaft gesehen. Der Spiegel schrieb 2017 in einer Fotoserie gar von einem „Krieg der Räder“. Doch diese Überschrift ist nichts anderes als Framing. Sprich: die Wortwahl setzt Fahrräder und Fahrradfahrer:innen bewusst in einen Zusammenhang mit Krieg und Gewalt; sie vermittelt einen negativen Eindruck. Ein Beispiel von vielen, wohlgemerkt.
Differenzieren statt draufhauen
0Wer die Spiegel-Fotostrecke heute anklickt, stellt fest: Der Titel lautet nunmehr „Fahrradfahrer in Deutschland – Eine Handbreit vom Lkw entfernt“. Gut so! Denn in der spannungsreichen und aufgeheizten Debatte um Radverkehr, Mobilität und Raumverteilung bringt es genau gar nichts, wenn Medien mit dem Finger auf eine Partei zeigen bzw. sie in einen besonderen Fokus rücken.
Es ist der Debatte auch nicht zuträglich, wenn Radfahrer:innen jedes Mal sämtliche Situationen aufzählen, in denen ihnen durch uneinsichtige Autofahrerenden Unrecht zugefügt wurde. Genauso wenig wie es dem Diskurs gut tut, wenn Autofahrer:innen bei jeder sich bietenden Gelegenheit die vielen Verfehlungen aller Radfahrer:innen herunterbeten. Dafür ist die Sache auch zu vielschichtig. Es gibt kein Schwarz und Weiß, kein Entweder-Oder. Was es aber gibt, das ist zum Beispiel eine gestiegene Anzahl der neuzugelassenen Autos in Deutschland. Oder die von der Bundesregierung gekürzten Mittel für das Förderprogramm „Stadt und Land“, das den Ausbau von Radwegen voranbringen sollte oder das gekürzte Förderprogramm für Fahrradparkhäuser, das besonders Radpendler:innen zugute gekommen wäre. Es sind mehr Menschen – zu Fuß, auf Rädern, E‑Scootern, in Autos – in Städten unterwegs, die seit Jahrzehnten auf Autos ausgerichtet sind.
Alle Zeichen stehen auf Auto
Die Autorin und Mobilitätsexpertin Katja Diehl schreibt in ihrem Buch „Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt“: „Die Verkehrsfläche pro Mensch stieg in den letzten Jahrzehnten enorm an – parallel zum bis heute nicht gebremsten Wachstum des Autobestandes. Während wir heute durchschnittlich auf 47 Quadratmetern wohnen, erhält das Auto mehr als das Doppelte der Fläche.“ Auch was das Parken, das Einfach-nur-Herumstehen betrifft, genießt das Auto unfassbare und absolut unzeitgemäße Privilegien. Diehl zitiert eine ADAC-Studie: „Für rund 65 Millionen Fahrzeuge gibt es in Deutschland 160 Millionen Stellplätze, 70 Prozent davon am Straßenrand.“ Daran etwas zu ändern sei schwierig, da das Straßenverkehrsgesetz sich Jahrzehnte lang an den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs orientierte. Heißt: Obwohl alle Verkehrsteilnehmer:innen grundsätzlich gleiche Rechte genießen, erfolgen Beschränkungen des Verkehrs nur bei einer „besonderen Gefahrenlage“, und das Parken von Pkw ist überall dort erlaubt, wo es nicht ausdrücklich verboten wird. Eine Änderung ist seit einigen Wochen beschlossen, es muss sich zeigen, wie sich das in der Realität auswirkt.
Überzeugen statt „überfahren“
Neben einer nötigen, neuen und effizienten Raumaufteilung sind auch mehr und bessere Radwege bzw. Verkehrsführung und Tempolimits unerlässlich, um allen Menschen eine sichere und gerechte Verkehrsteilnahme zu gewährleisten.
Klar ist: eine gerechte, ökologische Verkehrswende wird nur dann gelingen, wenn sie sozial ist. Sie muss auf die Bedürfnisse von alten und jungen, armen und reichen Menschen eingehen – egal, mit welchem Verkehrsmittel sie sich fortbewegen. Statt Menschen zu verachten, für die ihr Auto ein Statussymbol darstellt, gilt es, diese zu überzeugen.
Es funktioniert doch
Nicht zuletzt profitieren schließlich auch Autofahrer:innen von einer verbesserten (Fahrrad-) Infrastruktur. Und dass Tempolimits und eine Umwidmung des öffentlichen Raums für alle gut funktionieren, belegen bereits viele Beispiele, und das nicht nur in den hochgelobten Fahrradnationen Dänemark und den Niederlanden. So wurden zum Beispiel in Paris zwischen 2015 und 2020 etwa 150 Millionen Euro investiert, um die Großstadt auf den Weg zu einer Fahrradstadt zu bringen. Dort gilt zum Beispiel fast überall Tempo 30, es gibt mehr und breite Radspuren, aus einigen Teilen der Stadt wurde der Autoverkehr verbannt – der Verkehr fließt „trotzdem“ und aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Der Stadtbummel durch Paris ist sehr viel entspannter geworden. Was für Großstädte möglich ist, sollte erst recht für kleine Städte und Gemeinden funktionieren.
Hinweis:
Der Artikel erschien erstmals im Nitromagazin Heft 1/2024 – Verkehrswende.