Rückenfreundlich Radfahren
Nur selten sind schwerwiegende Erkrankungen die Ursache für Rückenleiden. „In rund 90 Prozent der Fälle sind die Schmerzen auf eine falsche Körperhaltung oder mangelnde Bewegung zurückzuführen. Besser als Medikamente und Operationen sind hier zumeist ‚rückengerechtes‘ Verhalten im Alltag, gymnastische Übungen und Gesundheitssport wie Schwimmen oder Radfahren“, fasst Detlef Detjen von der „Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V.“ den aktuellen Stand der Medizin zum Thema zusammen. Der Verein sammelt Informationen zum Thema und stellt diese Betroffenen und Mediziner:innen zur Verfügung.
Krafttraining ganz nebenbei
Eine gute Grundlage für einen gesunden, schmerzfreien Rücken sind Kräftigung und Dehnung, mit denen Haltungsschwächen abgebaut und das Muskelkorsett gestärkt werden. „Das lässt sich mit gezielten Übungen erreichen, die sich wie etwa Radfahren auch prima in den Alltag integrieren lassen“, erläutert Detjen. „Schon regelmäßige kurze Radtouren, wie etwa der Weg zur Arbeit, können einen hohen Beitrag zur Verbesserung der Fitness, der Muskulatur und damit des allgemeinen Wohlbefindens leisten.“
Jeder Mensch fährt anders
„Stellen sich aber erst beim Radfahren Schmerzen ein, ist das heute kein Grund mehr, das Velo gleich in die Garage zu stellen“, betont Gunnar Fehlau, Leiter des pressedienst-fahrrad und passionierter Langstreckenradler. „In vielen Fällen hilft hier der Besuch eines qualifizierten Fahrradhändlers, der Fehlhaltungen schnell erkennt und mit Anpassungen am Rad gezielt für Abhilfe sorgen kann.“
Das bestätigt auch Marlene Körber, Presseverantwortliche vom Traditionshersteller Winora. Denn Rahmen- und Laufradgröße sowie Sattel- und Lenkerhöhe sind heutzutage längst nicht mehr die einzigen Optionen, die moderne Fahrräder zur Einstellung bieten. „Jeder Mensch ist anders gebaut und hat unterschiedliche Anforderungen an das Fahrrad. Hier lohnt es sich an einer der vielen Stellschrauben, die hochwertige Räder für die individuelle Anpassung bieten, zu drehen“, so Körber. Hilfreich sind etwa verstellbare Vorbauten zur individuellen Anpassung des Abstands von Sattel zum Lenker. Daniel Gareus vom deutschen Pedros-Importeur Cosmic Sports, empfiehlt solche Einstellung ruhig während einer Tour vorzunehmen: „Mit einem handlichen Multifunktionstool sind diese Einstellungen schnell erledigt. Übrigens sollte immer nur ein Parameter verändert werden, um die Effekte auch sicher den Maßnahmen zuordnen zu können.“
Passt wie ein Maßschuh
„Im Idealfall passt das Rad wie ein gut sitzender Schuh zum Menschen“, sagt Thomas Bernds vom Hersteller Bernds, dessen Kund:innen vor dem Radkauf professionell vermessen werden. Danach wird ihnen ein passendes Rad aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Rahmenhöhen, ‑längen und ‑formen sowie diversen ergonomischen Ausstattungsoptionen zusammengestellt. Für Menschen, die in Größe und Proportion nicht dem Durchschnitt entsprechen, hat die Fahrradmanufaktur ebenfalls Lösungen.
Haltung bewahren, aber Pausen machen
Die Ursache von auftretenden Rückenschmerzen beim Radeln liegen nicht immer in der Haltung an sich begründet. Oft entscheidet der Fitnesszustand über das Wohlgefühl einer Sitzposition. „Ambitionierte Mountainbiker:innen oder Rennradfahrer:innen haben zum Beispiel nicht nur trainierte Beine, sondern auch eine gut ausgebildete Rücken‑, Bauch- und Schultermuskulatur, die ihnen auch lange Fahrten mit stark geneigtem Oberkörper ermöglicht“, weiß Philipp Martin vom Sportradhersteller Orbea. „Sportliche Sitzpositionen stärken den Rücken, führen bei Hobbyradler:innen aber gerade zu Beginn der Radsaison schnell zu Überlastungen.“ Um Rückenschmerzen zu vermeiden, sollten nicht zu lange Touren geplant werden. „Regelmäßige Pausen verbunden mit Lockerungsübungen wirken hier oft Wunder.“
Gut gefedert ist gut für die Bandscheibe
Nicht immer verfügen Rad-Traumrouten auch über einen traumhaften Belag. Oft genug machen Wurzeln den Radweg zum Albtraum und Kopfsteinpflaster historische Sehenswürdigkeiten zum denkwürdigen Erlebnis für Schultern, Hände und die natürlichen Stoßdämpfer des Menschen, die Bandscheiben. Auf vollgefederte Modelle, die Vibrationen und stärkere Stöße deutlich reduzieren, setzt deshalb der Hersteller Riese & Müller, der sogar vollgefederte Cargo-Bikes im Angebot hat. Übrigens ist die Federung nicht nur gut für den Komfort, sondern auch für die Sicherheit, da ein gefedertes Laufrad besseren Kontakt zum Untergrund behält und sich so präziser steuern lässt.
Kontaktpunkte stehen im Mittelpunkt
„Es ist nur schwer möglich, ein Fahrrad ab Werk ergonomisch zu konzipieren, geschweige denn passend auf den einzelnen Kunden einzustellen“, erklärt Detjen. Es komme darauf an, dass die Kontaktpunkte, also Sattel, Griffe und Pedale formschlüssig zum Menschen passten und an der richtigen Position sind. Deshalb zertifiziert die AGR keine kompletten Fahrräder mehr, sondern einzelne Komponenten wie Griffe. Etwa die Modelle des Herstellers Ergon mit einer speziellen Formgebung, um Schmerzen und Taubheitsgefühlen vorzubeugen. „Die Griffe sollten möglichst in einer geraden Linie von der Hand zum Unterarm übergehen. Flügelgriffe vergrößern dabei die Auflagefläche der Hände, was für Druckentlastung sorgt“, erklärt Lothar Schiffner von Ergon.
Positionswechsel: im Liegen fahren!
Auch für Menschen, die trotz aller Maßnahmen dauerhaft Probleme beim Radfahren haben, gibt es Lösungen. Für viele ist die erste Fahrt auf einem Liegerad ein echtes Aha-Erlebnis. „Auf keinem anderen Rad fährt man so entspannt und gleichzeitig so gesund“, betont Paul Hollants, Geschäftsführer des auf diese Gattung spezialisierten Herstellers HP Velotechnik. „Ein guter Liegeradsitz bietet eine körpergerecht geformte Rückenunterstützung.“ Untersuchungen zufolge beträgt der Bandscheibendruck in der zurückgelehnten Position kaum ein Drittel der Belastung in der nach vorne gebeugten Haltung. Neben normalen Liegerädern bietet HP Velotechnik übrigens auch faltbare Trikes mit und ohne Elektrounterstützung an, sogar für das Gelände. Da soll noch mal jemand sagen, im Liegen könne man nichts für seine Gesundheit tun.