„Der Ausbau der Infrastruktur ist die Kernforderung“
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Die I:sy GmbH ist eine Marke der Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft (ZEG) und produziert Pedelecs, S‑Pedelecs, Cargobikes sowie einiges an Fahrradzubehör. Die Fertigung findet in einem Werk in St. Ingbert im Saarland statt. Dort sind über 100 Angestellte beschäftigt. Die Fertigungsstätte ist seit Ende 2022 in Betrieb – bei ihrer Konzeption wurde großer Wert auf digitale Prozesse und moderne Fertigungsanlagen gelegt. Auch andere ZEG-Marken wie Kettler und Hercules lassen dort ihre Räder fertigen. Entwicklung, Marketing und Qualitätsmanagement von I:sy, mit 26 Mitarbeitenden, befinden sich in Köln. Für mehr Nachhaltigkeit, kürzere Lieferwege und mehr Kontrolle wird aktuell immer mehr Fertigung nach Deutschland zurückgeholt und auch versucht, bei deutschen bzw. europäischen Herstellern einzukaufen. Fahrradrahmen und einige Komponenten kommen jedoch noch aus Asien.
pressedienst-fahrrad: Frau Schumacher, seit rund einem Jahr ist das neue Fertigungswerk für I:sy-Räder in St. Ingbert in Betrieb. Warum dieser Schritt, in einer Zeit, in der große Namen wie Bosch, VW oder Thyssenkrupp in Deutschland Stellen streichen bzw. ankündigen, Werke zu schließen?
Jessica Schumacher: Was macht eine Marke besonders? Guter Service, kurze Wege und gute Qualitätskontrolle. Das funktioniert über Austausch. Unsere Qualitätssicherungs- und Produktmanager sind direkt in der Fertigung, um dort die Produkte noch ab Werk zu prüfen und mögliche Fehler zu besprechen. Die Mitarbeitenden am Band sehen in der Praxis ganz andere Sachen. Deshalb ist der Austausch so wichtig. Wir müssen bei der Herstellung darauf achten, dass sich die Räder gut montieren lassen. Das ist nicht ohne, wenn man nicht nah genug dabei ist. Das ginge außerhalb von Deutschland nicht so schnell.
Ist „Made in Germany“ ein Verkaufsargument?
Wir merken sowohl von Händler- als auch von Kundenseite, dass „Made in Germany“ ein Verkaufsargument ist. Nicht nur in Deutschland, sondern international. Selbst bis Australien ist das ein Begriff. Und wir bieten ja auch einen entsprechenden Service dahinter, indem wir Reparaturen anbieten können, die man sonst nicht in dieser Form bekommt.
Haben Sie die Befürchtung, dass „Made in Germany“ von Nationalisten instrumentalisiert wird?
Bei uns arbeiten Deutsche, Franzosen und viele andere Nationen Hand in Hand. Da herrschen ein herzliches Miteinander und Verbundenheit im besten Sinne. Ich finde es sehr schade, dass gerade sehr viele Mauern in Europa wieder aufgebaut werden. Wir sind alle Menschen und wir alle lieben Fahrradfahren. „Made in Germany“ zu instrumentalisieren ist der vollkommen falsche Weg.
Welche Rolle hat die deutsche Fahrradbranche im wirtschaftlichen Umfeld? Über die Automobilbranche wird viel gesprochen, aber das Fahrrad läuft da unter dem Radar.
Wir haben einfach noch nicht die starke Lobby. Die Fahrradbranche besteht aus sehr vielen starken Individualisten, die für ihr Hobby und ihre Leidenschaft kämpfen, aber auch lange separiert voneinander agiert haben. Das wandelt sich, was ich schön finde. Es wird über die Markengrenzen hinweg besprochen, was man zusammen bewegen kann. Die Fahrradbranche hat eine hohe sechsstellige Mitarbeiterzahl. Da täte uns mehr Rückenwind von der Politik auch gut, weil wir auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor sind.
Wie abhängig ist der Verkauf von Fahrrädern von der wirtschaftlichen Gesamtlage?
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind viele Menschen verunsichert. Da wäre es wünschenswert, dass wir wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen und eine gewisse Sicherheit in uns haben. Der andere Punkt ist, dass der Fahrradmarkt sehr heterogen ist. Radfahren ist für viele ein Hobby, wo sie vielleicht jetzt nicht das neue Rennrad kaufen, sondern lieber noch ihr altes weiterfahren. Auf der anderen Seite erleben wir eine hohe Nachfrage nach Cargobikes, weil sich die Menschen nach cleverer urbaner Mobilität umschauen. Viele Leute haben Lust, das Auto abzuschaffen. Das Fahrrad ist jetzt eine Konkurrenz zum Auto – und zwar das ganze Jahr. Einige Städte reagieren darauf und passen die Infrastruktur an. Das ist absolut überfällig.
Es ist ja seit langem eine Forderung an die Politik, mit besserer Infrastruktur den Radverkehr zu fördern. Blickt man in die Wahlprogramme, dann kommt das Fahrrad selten bis gar nicht vor. Welche Wünsche haben Sie an die neue Bundesregierung, damit es mit der Fahrradbranche wieder bergauf geht?
Der Ausbau der Infrastruktur ist die Kernforderung. Der Autoverkehr hat in den letzten Jahrzehnten so stark die Städte geprägt. Das muss zurückgefahren und mehr Platz für den Radverkehr geschaffen werden. Ich finde es schlimm, dass sich die Leute auch nicht freuen über die Möglichkeiten, die ihnen eine gute Radinfrastruktur bietet. Da würde ich mir wünschen, dass ein parteienübergreifender politischer Konsens besteht, den Radverkehr zu stärken. Dafür muss Geld ausgegeben werden oder müssen auch ein paar Parkplätze verschwinden, damit alle Verkehrsteilnehmer gut miteinander agieren können.
Fahrradförderung ist aber ein lokales Thema.
Und genau das ist das Problem. Es braucht mehr bundesweite Lösungen. Wenn unsere Außendienstler zu Händlern in verschiedenen Bundesländern fahren, müssen sie sich erst einmal informieren, welche Förderungen es in den jeweiligen Ländern und Städten bei Cargobikes gibt. Warum kann das nicht einfach einheitlich sein? Aktuell kennt man sich ja nicht aus, was genau bezuschusst wird. Wenn das vereinfacht und Bürokratie abgebaut würde, wäre ein großer Schritt getan.
Würde eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Fahrradprodukte und Fahrraddienstleistungen, wie sie Fahrradverbände ins Gespräch bringen, etwas bringen?
Das fände ich ein absolut richtiges Signal. Fahrradfahren ist einer der wichtigsten Faktoren, die man für Klimaneutralität nutzen kann. Und das muss für mehr Menschen interessanter gemacht werden.
Der Wirtschaftsjournalist André Kühnlenz schreibt in einem Artikel über „Made in Germany“: „Die heimischen Konsumgüter sind schlicht zu teuer für einen Aufschwung der Binnenwirtschaft.“ Hat er Recht?
Das würde ich so nicht sagen. Wir erkennen zwar, dass gerade Billiganbieter einen wachsenden Zulauf haben. Aber wir sehen auch, dass das hochpreisige Segment bei uns sehr gut nachgefragt wird. Die Leute informieren sich länger und kaufen bewusst ein Produkt aus Deutschland, auch wegen des After-Service. Da sind sie bereit, mehr Geld auszugeben, weil sie wissen: Auf lange Sicht haben wir mehr davon und können das Produkt auch reparieren lassen.
Ein strukturelles Problem für Firmen in Deutschland ist der Fachkräftemangel. Wie schafft man es, Fachkräfte zu finden und auch zu halten, damit die Produktion weitergehen kann? Und hält man vielleicht auch länger in Krisen an Fachkräften fest, weil sie schwer wiederzufinden sind?
In der Nähe unseres Produktionsstandortes sitzen einige Automobilzulieferer, die jetzt Stellen abgebaut haben. Da können wir von den anderen schwächelnden Branchen profitieren. Wir haben mittlerweile auch Automechaniker mit im Service-Team, die sich gut ins Thema eingearbeitet haben. Da sind wir stetig im Austausch, um auch neue Leute heranzuziehen. An unserem Standort in Köln sind wir gut versorgt. Hier merken wir noch nichts vom Fachkräftemangel. Das könnte sich aber ändern. Wir tun deshalb viel dafür, dass die Mitarbeitenden auch bei uns bleiben.
Mit welchen konkreten Maßnahmen?
Klassisch: Dienstrad-Leasing. Wir wollen unsere Mitarbeitenden aufs Fahrrad bekommen. Und ansonsten bieten wir diverse Weiterbildungsmöglichkeiten an, die sich die Mitarbeitenden nach ihren Interessen selbst aussuchen können. Das wird sehr gut angenommen.
Zur Person:
Jessica Schumacher stieg 2007 beim Komponenten-Hersteller Hebie in die Fahrradbranche ein. 2011 wechselte sie als Marketing Managerin und ab 2013 als OEM Sales Managerin zur Selle-Royal-Gruppe. Seit 2021 arbeitet sie für den Kompaktradhersteller I:sy und ist mittlerweile alleinige Geschäftsführerin der Marke.
Interview: Thomas Geisler