Das Cargobike im Ganzjahreseinsatz
Dicke Schneeflocken bleiben auf meiner Brille kleben, als ich meine Töchter an einem Tag im Februar zum Schlittschuhlaufen in die Eishalle fahre. Warum ich ausgerechnet bei diesen Bedingungen zum Lastenrad greife? Warum nicht? Ich muss sogar zugeben: Ich habe mich auf den Schnee richtig gefreut, weil ich das E‑Cargobike „FS200 Life Family“ von Hersteller Ca Go jetzt endlich auch bei ungemütlichen Bedingungen testen kann. Die Fahrt macht richtig Spaß. Das Rad fährt sich wie auf den sprichwörtlichen Schienen. Die Glätte merke ich erst, als ich beim Anschieben mit dem Fuß wegrutsche. Ich entscheide deshalb, die Motorunterstützung des Bosch-Antriebs von Sport auf Tour herunterzuschalten. Dem Fahrspaß tut das keinen Abbruch. Ich drehe sogar noch freiwillig auf der Heimfahrt eine Extrarunde durch die Nachbarschaft.
Per Zufall zum Lastenradhersteller
Dabei ist es ein Zufall, dass der Hersteller Ca Go überhaupt Lastenräder baut. Erst seit 2019 sind die Räder der Marke unterwegs, beworben werden sie als das „sicherste Lastenrad der Gegenwart“. Der Gründungsmythos geht so: Firmengründer Franc Arnold, Geschäftsführer beim Großhändler RTI Sports, stieß bei der Forschung für ein neues Dämpfungsmaterial für Sättel seiner Ergonomiemarke Ergon auf eine Firma, die expandiertes Polypropylen, kurz EPP, herstellt. Das Material wird beispielsweise in der Automobilbranche verwendet, da es über eine hohe Dämpfungsfunktion verfügt, viel Energie aufnehmen kann, aber dennoch äußerst leicht ist. So entstand die Idee, eine Transportbox für Lastenräder zu bauen, die auch einem Crash-Test für Autos standhalten kann. Das war 2017. Damals wurden Kinder noch in Boxen aus Holz auf Lastenrädern transportiert. Zusätzlich zur Verwendung von EPP beschloss Arnold, die Seitenbereiche der Box weiter hochzuziehen. So können Kinder bei der Fahrt nicht den Arm ausstrecken, was das Verletzungsrisiko weiter minimiert. Außerdem wurde ein Nackenschutz für die Box entwickelt, der Kinderköpfe extra stützt. Eine Knautschzone und ein Rückhaltesystem sorgen für zusätzliche Sicherheit im Falle eines Zusammenstoßes mit größeren Verkehrsteilnehmenden. „Unser Gedanke war: Wenn wir nur einem Kind das Leben retten, haben wir das Richtige gemacht“, erzählt Arnold.
Vom Auto ans Lastenrad
All das waren Funktionen, die aus dem Automobilbereich bekannt waren. „Wir nahmen bestehendes Wissen und bauten es aufs Fahrrad“, sagt Arnold. Das Problem: Die Lastenradhersteller zeigten sich zwar begeistert, wollten die Box allerdings nicht sofort an ihren Rädern verbauen. Deshalb entschied sich Arnold 2019, eine eigene Lastenradmarke zu gründen. „Wir machen Produkte für die urbane Mobilität und wollen das sicherste Lastenrad der Welt bauen“, so sein Anspruch. Laut eigener Aussage nahm Arnold damals auch in Kauf, mit Ca Go als Nestbeschmutzer zu gelten, da er Probleme beim Kindertransport per Lastenrad offen ansprach. Heute gelten die Räder mit als Vorreiter im Bereich Sicherheit und das Konzept wird kopiert.
Kälteschutz für die Insassen
Die Box hat einen weiteren Vorteil: EPP wirkt isolierend. Bei kalten Temperaturen ist das ein zusätzliches Plus beim Kindertransport. Auf meine Frage: „Ist euch kalt?“, bekomme ich von meinen Töchtern nur verständnislose Blicke oder ein genervtes „Nein“ als Reaktion. Der Sicherheitsaspekt mit den hohen Seitenwänden hat allerdings auch einen Nachteil: Das Einsteigen wird nicht einfacher. Darum hat Ca Go eine einfache Lösung ersonnen: Die Kinder können kleine Fußrasten an der Box als Einstiegshilfen nutzen. Meine Kinder haben das intuitiv verstanden. Doch mit der Zeit wirkt es so, als ob die Faulheit den Entdeckerdrang schlägt. „Papa, kannst du mich nicht einfach reinheben?“, fragt dann schon mal eine von ihnen, wenn sie versucht, mit behelmtem Kopf voraus einzusteigen.
Gutes Fahrgefühl dank Last auf Vorderrad
Bei der Entwicklung des Ca Go gab es einen weiteren Gedanken: Der Umstieg vom Fahrrad aufs Lastenrad muss möglichst leichtfallen. Und das bei einem Gefährt, das eine Länge von 270 Zentimetern und ein Leergewicht von rund 50 Kilogramm aufweist. Dennoch fährt sich das Rad sportlich und agil. Das liegt einerseits an dem tiefen Schwerpunkt und andererseits an einer Seilzuglenkung, die einen kleinen Wendekreis ermöglicht. „Außerdem wollten wir mehr Radlast auf das 20 Zoll kleine Vorderrad bringen“, sagt Arnold. Bei vielen Lastenrädern des Typs Long-John (Ladefläche zwischen Lenker und Vorderrad) liegen 80 Prozent des Gewichts auf dem größeren Hinterrad mit 26 Zoll. Die Folge: „In der Kurve kann das Vorderrad, insbesondere bei nassen Straßen, schneller wegrutschen“, erklärt der Erfinder. Deshalb hat man sich bei Ca Go entschieden, die Akkus nicht am Rahmen, sondern unter der Transportbox zu verbauen. Das sorge für eine bessere Gewichtsverteilung – und für mehr Reichweite, weil das FS-200 optional mit einem zweiten Akku ausgestattet werden kann.
Wie sich das in der Praxis auf das Fahrverhalten auswirkt, zeigt sich mir, als ich über einen vereisten Weg fahre. Mit Respekt taste ich mich langsam heran, spüre aber schnell, wie sicher das Rad fährt und kann das Tempo erhöhen. Kein Schlingern, kein Wegrutschen des Vorderrades – und das ohne Spike-Reifen. Durch die großen Bremsscheiben und das Vier-Kolben-Bremssystem am Hinterrad ist auch im beladenen Zustand der Bremsweg äußerst kurz. Von Vorteil sind die breiten Reifen von Schwalbe, die auf dem winterlichen Untergrund gute Traktion liefern. Den Reifendruck habe ich vor Fahrtbeginn etwas abgesenkt, wie es mir vom Reifenspezialisten empfohlen wurde.
Individuelles Tuning durch Automatik
Mit einem anderen Highlight habe ich hingegen etwas mehr Berührungsängste. Teil der Serienausstattung eines FS200 Family ist eine Automatik-Nabenschaltung von Enviolo. Ich bin zunächst skeptisch, ob dieser technische Fortschritt sinnvoll ist, weil Schalten ja eine der Grundfunktionen des Radfahrens ist. Bei der Automatik übergibt man den Gangwechsel an die Technik. Dafür ist lediglich die Eingabe einer gewünschten Trittfrequenz erforderlich. Anschließend passt das System die Gänge so an, dass man automatisch immer mit seiner Wunschfrequenz fährt. Die ersten Meter sind ungewohnt, auch weil kein Schalthebel mehr am Lenker verbaut ist, um selbst eingreifen zu können. Aber mit der Zeit gewinne ich Vertrauen in die Technik. Dem mühevollen Anfahren wird der Schrecken genommen, aus Kurven heraus kann ich deutlich schneller beschleunigen. „Für den Anwendungsfall Cargobike ist eine Automatikschaltung etwas sehr Gutes. Gerade in der Stadt, wo man öfter abbremsen und anhalten muss“, bestätigt Franc Arnold. Nach den ersten Fahrten bin ich sicher: Eine Automatikschaltung möchte ich am Cargobike nicht mehr missen – zumindest, wenn ich mit meiner Komfort-Geschwindigkeit von 20 bis 25 km/h unterwegs bin. Wird die Geschwindigkeit langsamer, z. B. wenn die Kinder auf ihren Rädern fahren möchten und ich sie begleite, harmoniert die Motorunterstützung nicht mehr so gut mit der Automatikschaltung, was zu einem unrunden Fahrgefühl führt.
Für den Winteralltag gemacht ist das Rad auch dank Riemenantrieb von Gates. Dieser ist gegen Matsch und Salz resistenter als Fahrradketten und braucht auch weniger Pflege in Form von Reinigung und Kettenöl. Doch eines bleibt einem trotz der vielen technischen Features und hohen Sicherheitsstandards beim FS200 Life Family einem weiterhin erhalten: das Säubern des Bikes von Matsch und Salz nach den schönen Schneefahrten. Dennoch zeigt sich dank derartiger Räder, dass Cargobikes mittlerweile für den Jahreseinsatz gemacht sind und auch im Winter bei Schnee und Eis einem sicheren Transport nichts im Wege steht.
Autor: Thomas Geisler
Das Fahrrad
Das „FS200 Life Family“ wurde uns vom Hersteller Ca Go für einen längeren Test kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Preis für das Cargobike beträgt in seiner Standardausstattung 7.590 Euro. Unsere Version war zusätzlich ausgestattet mit optionalem Zubehör in Form des Nackenschutzes „Ortho-Safety-Collar“ (249,95 Euro), des zweiten Kindersitzes (199,95 Euro) sowie eines zweiten Bosch-Akkus (690 Euro). Neu im Angebot für 2025, aber noch nicht im Test, ist das Bremssystem „Magura IBS“ (390 Euro). Hier werden mit beiden Bremshebeln jeweils beide Bremsen betätigt, was den Bremsweg verkürzen und für ein stabiles Bremsverhalten sorgen soll. Ca Go bietet zudem ein Modell „FS100 Life“ für 6.690 Euro an.