ADFC-Fahrradklimatest: Zehn Minuten für den politischen Druck
Die Umfrage „Fahrradklimatest“ (FKT) des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ist ein sehr einfaches Werkzeug für politische Teilhabe. Sie befragt seit 1998 die Menschen, die es tatsächlich betrifft, nach der radspezifischen Einschätzung ihres Wohnorts und den drängendsten verkehrsinfrastrukturellen Problemen. Das Wissen liegt also förmlich auf der Straße – denn niemand weiß besser, was funktioniert und was nicht als die Radelnden selbst. Ihre Expertise zu nutzen, ist nicht nur einfach, sondern auch extrem wichtig, weil man den meisten radverkehrstechnischen Einrichtungen dieses Landes sehr deutlich anmerkt, dass ihre Urheber:innen selbst keine Radfahrenden sind oder waren.
Klimatest wichtig für Kommunen
Der Klimatest liefert so nicht nur dem Fahrradclub, sondern auch den Verantwortlichen in den Kommunen unschätzbar wertvolle Daten zu konkreten Stellschrauben der Verkehrswende. Im größten Radfahrenden-Zufriedenheitsbarometer des Landes werden die Städte und Gemeinden nach Einwohner:innen-Zahlen gruppiert und in knapp 30 Fragen bewertet. Die Einschätzungen sind absolut subjektiv – und spiegeln natürlich auch die gestiegenen Ansprüche der Menschen wider. So erklärt sich wahrscheinlich, dass sich das Gesamtklima zwischen 2020 und 2022 verschlechtert hat, obwohl in dem Zeitraum durchaus punktuell Verbesserungen erstritten wurden. Positiv ist jedoch: Radfahrende gehen mit immer ähnlicheren Bewertungskriterien an die Sache heran, dafür sorgt nicht zuletzt diese Umfrage – und sprechen zunehmend mit einer gemeinsamen Stimme.
Miteinander im Verkehr
Der FKT 2024 ist der elfte Klimatest und er läuft seit Anfang September – es sind also noch Zeit, um sich zu beteiligen und für Engagement zu werben. Das Schwerpunktthema in diesem Jahr lautet „Das Miteinander im Verkehr“ und die Fragen machen sehr deutlich, wie zentral Respekt und Gleichberechtigung für das Gelingen der Verkehrswende sind – sowohl in der direkten Begegnung auf den Straßen als auch in der Priorisierung durch Politik und Verwaltung.
Ost-West-Gefälle sichtbar
Es gibt in Deutschland ebenso viele Fahrräder wie Menschen (84 Millionen), wobei laut Fahrradmonitor 39 Prozent der Deutschen ihr Fahrrad oder E‑Bike regelmäßig nutzen, also täglich oder mehrmals die Woche. Mehr als 30 Millionen Menschen hierzulande sollten also ein gewisses Interesse am FKT haben. Die Zahl der Teilnehmenden am Fahrradklimatest hat sich zwischen 2012 und 2022 auch gut verdreifacht, von 80.000 auf 245.000. Aber es bleibt noch reichlich Luft nach oben. Denn Bedeutung und Nutzung des Fahrrads wachsen konstant – was die Schwächen offenbart, die die jahrzehntelange stiefmütterliche Behandlung des Transportmittels vielerorts bewirkt hat. Auffällig ist dabei auch ein extremes Ost-West-Gefälle: In den Top-Three kommt der Osten in keiner Kategorie vor, obwohl das Fahrrad in der DDR wichtiger war als in der BRD. Leipzig auf Platz vier, Schwedt/Oder auf Platz vier und Bald Wilsnack auf Platz fünf in ihren Größenklassen sind die wenigen Leuchttürme. Gerade im Lichte der jüngsten Landtagswahlergebnisse und der Verkehrskehrtwende im Berliner Senat steht eine Rückkehr zu einer reaktionären Straßenpolitik real zu befürchten. Gleichzeitig rückt vor allem im Osten die Hoffnung auf wirksame Schritte in Richtung Lebensqualität und Gleichberechtigung in weite Ferne. Eine Interessensbündelung von Radfahrenden, Industrie und verwandten Interessenvertretungen ist jetzt so wichtig wie nie.
Über den Autor:
H. David Koßmann ist seit 2008 Redakteur beim pressedienst-fahrrad, Chefredakteur des Radkulturmagazins fahrstil und seit 2024 aktiv im ADFC seines Wohnorts Halle (Saale).