Faszination Bahnrad – ein Überblick
1) Lange Tradition
Bahnradfahren ist die Urform des Radsports und weitaus älter als die großen Straßenradsport-Events wie Tour de France oder Giro d’Italia. Der Grund ist banal, wie Volker Dohrmann von Stevens Bikes erklärt: „Als die ersten Fahrradrennen Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen, gab es noch kein vernünftiges, flächendeckendes Straßennetz. Zur Unterhaltung wurden Radbahnen in fast jeder Stadt gebaut.“ Doch mit dem wachsenden Aufkommen des Straßenradsports rückte das Bahnradfahren in den Hintergrund. Nur um die 30 Velodrome gibt es aktuell noch in ganz Deutschland. „Der Unterhalt einer Radbahn ist relativ teuer. Man braucht viel Unterstützung, um die Bahn in ordentlichem Zustand zu halten. Das ist allerdings vielerorts leider nicht mehr der Fall“, erklärt Holger Buch, Leiter der Radsportabteilung beim Verein Tuspo Weende in Göttingen, der noch eine Radbahn betreibt.
Radbahnen unterscheiden sich generell in Länge und Material. Die Fahrbahnen bestehen entweder aus Beton, Asphalt oder Holz. Letzteres wird ausschließlich bei überdachten Bahnen, also hauptsächlich in Hallen genutzt. Buch erklärt: „Holz ist glatt und ermöglicht durch geringeren Rollwiderstand deutlich schnellere Zeiten, ist dafür allerdings anfälliger gegen Witterung.“ Außenbahnen können bis zu 400 Meter lang sein. Sie umrunden dann meist eine andere Sportanlange, z. B. ein Fußballfeld.
Eine Hallenbahn ist meist um die 250 Meter lang. Wichtiges Merkmal sind die erhöhten Kurven; der Winkel kann von Bahn zu Bahn stark differieren. Die bekanntesten Radsporthallen in Deutschland stehen in Berlin und Frankfurt/Oder. In Bremen, wo wie vor hundert Jahren jährlich wie in Berlin Sechs-Tage-Rennen als Großveranstaltung stattfinden, wird die Bahn nur für dieses Event aufgebaut.
2) Materialtipps für Einsteiger:innen
Beim Bahnradfahren gibt es offiziell 16 unterschiedliche Disziplinen, die unterschiedliches Material benötigen. Grob kann man sie in zwei Arten teilen: Kurzzeit (also Strecken bis 1.000 Meter) und Ausdauer. Bei den Rädern gibt es die sogenannten Punkteräder, die dem Straßenrennrad ähneln, und Zeitfahrräder. Für Einsteiger:innen ist es sinnvoll, sich zunächst in den Rennen zu versuchen, wo mit Punkterädern gefahren wird. Die Umstellung auf ein Zeitfahrrad ist schon ein großer Sprung, weil hier Aerodynamik wichtig ist. Scheibenräder, sehr dünne Reifen mit maximal 19 Millimetern Breite und ein individueller Lenkeraufbau mit einem Zeitfahraufsatz, der eine mittige Arm- und Griffposition ermöglicht, sind nicht nur für Laien eine Herausforderung. Die Profimaschinen werden beispielsweise speziell am Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in enger Abstimmung mit den Athlet:innen konzipiert. Punkteräder ähneln hingegen mehr dem klassischen Rennrad – mit einigen Ausnahmen. Optisch fallen die schmaleren Lenker sowie das Fehlen von Bremsen und Schaltung sofort ins Auge. Die Räder dürfen so nicht im Straßenverkehr gefahren werden. „Außerdem werden Bahnrenner fixed gefahren, das heißt: ohne Freilauf. Wenn das Hinterrad sich dreht, dreht sich auch immer die Kurbel. Man muss daher ständig mittreten“, erklärt Anke Namendorf vom niederländischen Fahrradhersteller Koga, der unter anderem Bahnräder für Hobby- und Leistungssportler:innen anbietet. Gebremst wird entweder durch Kontern, also Gegenhalten beim Treten durch Muskelkraft, oder Ausrollen auf der Bahn. Gewicht spielt eine geringere Rolle als bei Straßenrennern, Bahnräder sind mehr auf Steifigkeit und Haltbarkeit ausgelegt – haben also dort Materialverstärkungen, wo die enorme Beinkraft der Fahrer:innen am stärksten wirkt. „Aber man muss sich für ein paar Übungsrunden nicht gleich ein neues Rad kaufen. Meist haben die örtlichen Vereine Leihräder für die Bahn oder bieten Schnupperkurse an. Unsere Bahn darf man auch mit Straßenrädern befahren“, sagt Tuspo-Mann Buch. Übrigens: Ein Carbonriemenantrieb ist für Bahnräder von der UCI noch nicht zugelassen. „Dabei würde der Riemen gerade bei den hohen Leistungen der Bahnradfahrer:innen seine Stärken ausspielen. Einige Weltrekorde würden sicherlich purzeln, wenn der Riemen zugelassen würde“, vermutet Frank Schneider vom Riemenhersteller Gates.
Bei der Reifenwahl hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die UCI Schlauchreifen für Bahnräder vorschreibt. Das ist allerdings nicht korrekt, wie Doris Klytta vom Fahrradhersteller Schwalbe bestätigt: „Tubeless ist auf dem Vormarsch im Rennradbereich. Das gilt auch für das Bahnfahren.“ Dabei ist der geringere Rollwiderstand der große Vorteil. In Kombination mit der richtigen Felge sitzt der Tubeless-Reifen auch bei hohen Seitenkräften sicher. „Um die beste Aerodynamik zu erlangen, sollte die Reifenbreite in Abhängigkeit zur Felge gewählt werden“, rät Klytta.
Zur Pflichtausstattung gehört ein möglichst aerodynamischer Rennradhelm (z. B. „Gamechanger 2.0“ von Abus). Auch Klickpedale und entsprechende Schuhe sollten Teil der Grundausrüstung sein. Die Kraftübertragung ist besser und man lernt schneller den sogenannten runden Tritt, der gerade beim Fixed-Fahren entscheidend ist.
3) Fahrtipps für Einsteiger:innen
Wer mit dem Bahnradfahren anfangen möchte, braucht keine Vorkenntnisse. Allerdings bedeutet das ständige Treten eine Umstellung. „Daran gewöhnt man sich aber schnell“, sagt Holger Buch. Eine Herausforderung sei zudem das Fahren in den hohen Kurven. Bis zu 60 Grad Neigung können diese haben. „Einsteiger:innen sollten sich aus psychologischer Sicht langsam an eine Bahn mit flacheren Kurven herantasten“, rät er. Die Kurvenneigung bleibt dabei von oben bis unten gleich. Zur Orientierung können die Fahrer:innen eine schwarze und eine blaue Linie auf der Bahn nutzen. „Wer es auf der unteren schwarzen Linie um die Kurve schafft, schafft anschließend auch die obere blaue Linie. Da kommt dann der eigentliche Spaß, weil man den Schwung von oben mit auf die Gerade nehmen kann und so höhere Geschwindigkeiten erzielt“, so Buch. Die richtige Geschwindigkeit zu halten, ist enorm wichtig: Bei einer hohen Geschwindigkeit fährt man im 90-Grad-Winkel zur Bahn, um gegen die Fliehkräfte zu arbeiten. Die Folge: Der Haftreibungswinkel wird erhöht und ein Abrutschen des Reifens in der Kurve verhindert. Andersrum heißt das natürlich: Wer zu langsam in die Kurve fährt, liegt auf der Nase.
Der Trainingseffekt beim Bahnfahren liegt darin, dass man beim Kurvenfahren einen erhöhten Druck auf die Pedale geben muss, um das Tempo zu halten. Beim Hinausfahren aus der Kurve wird der Druck verringert, um die Geschwindigkeit besser zu kontrollieren. „Bahnradfahren ähnelt einem ständigen Bergauf-Bergab-Fahren und geht stark auf die Oberschenkel. Die richtige Technik braucht etwas Feingefühl“, weiß Volker Dohrmann.
Hinzu kommt die mentale Anstrengung: Die Konzentration muss aufrecht gehalten werden, um Unfälle, gerade beim Fahren in Gruppen, zu vermeiden. Außerdem darf nur rechts überholt und auf der Bahn nicht gestoppt werden. „Das klingt komplizierter als es in Wirklichkeit ist. Nach ein paar Runden hat man den Dreh raus und es ist in erster Linie wichtig, entspannt auf dem Rad zu sitzen. Durch die enge Verbindung von Fahrer:in und Rad wird jede Bewegung direkt übertragen. Also: Je entspannter man fährt, desto komfortabler“, sagt Dohrmann. Dennoch muss einem bewusst sein: Bahnradfahren ist anstrengend – egal ob fürs Sprint- oder Ausdauertraining. Es ist deshalb sehr ratsam, immer etwas zu trinken und zu essen dabei zu haben. Kleine Riegel, Gels und Obst bieten sich als Trainingssnack an.
4) Unterschiedliche Disziplinen
Es gibt 16 offizielle Bahnradsportarten, von denen regelmäßig Rennen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spiele gefahren werden. Zu den wichtigsten zählen u. a. die Verfolgung. Hier fahren die Sportler:innen gegeneinander mit einer halben Runde Abstand. Ziel ist es, den Gegner oder die Gegnerin bei einer vorgegebenen Streckenlänge einzuholen. Sollte dies nicht gelingen, zählt die schnellere Zeit. Es gibt sowohl Einzel- als auch Teamverfolgung. Eine Abwandlung ist das Einzelzeitfahren: Hier fahren die männlichen Athleten allein über 1.000 Meter auf Zeit, bei Frauen sind es 500 Meter. Von den unterschiedlichen Sprintdisziplinen gibt es Teamsprint, Sprint, Keirin, Scratch, Omnium, Madison und Punktefahren. Teamsprint kommt dabei der Verfolgung noch am nächsten: Dreierteams (bei Frauen Zweierteams) treten im Abstand einer halben Runde über drei Runden an. Nach jeder Runde verlässt eine Fahrer:in die Bahn, die letzten fahren im Vollsprint um die beste Zeit. Beim Sprint steht hingegen das direkte Duell im Vordergrund. Taktik ist dabei wichtig, weshalb man die Radfahrer:innen oft noch nach dem Startschuss auf dem Rad balancierend an der Startlinie stehen sieht. Die Dauer dieser sogenannten Stehversuche ist übrigens genau von der UCI geregelt. Der richtige Moment des Starts entscheidet nicht selten, wer die Ziellinie zuerst überquert. Beim Keirin fahren sechs Fahrer:innen über 1.500 Meter direkt gegeneinander, die ersten 750 Meter davon hinter einem Schrittmacher (meist einem Derny-Motorrad), der das Feld von 30 auf 50 km/h beschleunigt. Danach beginnt der Sprint. Beim Scratch fahren mehrere Fahrer:innen über eine vorbestimmte Rundenzahl. Wer die Ziellinie zuerst überquert, gewinnt. Auch Rundengewinne sind möglich. Madison, auch Zweier-Mannschaftsfahren genannt, basiert auf ähnlichen Regeln, allerdings fahren zwei Fahrer:innen eines Teams gemeinsam die Runden. Während eine:r gezählt wird, kann der/die andere entspannt mit begleiten. Durch den sogenannten Schleudergriff wird übergeben. Beim Punktefahren werden nach festgelegten Runden Punkte je nach Platzierung vergeben, auch ein Rundengewinn wird gezählt. Am Ende gewinnt, wer die meisten Punkte sammelte. Omnium ist hingegen ein Mehrkampfrennen und besteht aus den vier Teildisziplinen Scratch, Temporennen, Ausscheidungs- und Punktefahren.