„Keine Subventionen für die Automobilbranche!“
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Die Geschichte von Fahrer Berlin begann 2004, als der noch heute tätige Geschäftsführer Joachim Leffler ein Klettband entwickelte, damit die Hose beim Radfahren nicht an die Kette kommt. Die Unikate wurden zu einem großen Erfolg, sodass 2008 die Unternehmensgründung erfolgte. Eine Idee war damals, die Produkte aus recycelten Materialien herzustellen. Mittlerweile umfasst das Portfolio diverse Zubehörartikel wie kleine Reflektoren, Ballhalter, Spanngurte für Cargobikes oder Schlüsselanhänger. Diese Accessoires werden in Deutschland zum Großteil in Werkstätten für Menschen mit Behinderung gefertigt; die Rohstoffe dafür werden in Deutschland eingekauft. Weitere Artikel wie Taschen, Radschützer, Neopren-Überzüge und Smartphone-Hüllen lässt das Unternehmen in Taiwan fertigen. Für Gepäckträger gibt es einen Partner in den Niederlanden sowie einen weiteren in China.
Herr Elsner-Krause, warum fertigt Ihr Unternehmen Fahrer Berlin manche Produkte mittlerweile in Asien?
Philipp Elsner-Krause: Wir hatten lange Jahre einen Partner in Bulgarien, mit dem wir sehr gerne zusammengearbeitet haben. Die Näherei hat nach der Pandemie viele Arbeitskräfte verloren, die entweder altersbedingt ausgeschieden oder weggezogen sind. Das Personal hat sich von ca. 70 auf 20 Näher:innen reduziert. Deshalb konnten sie mit uns nicht weiter zusammenarbeiten. Wir sind seit fünf Jahren auf der Suche nach Partnern in ganz Europa, aber es ist superschwer, einen Produktionspartner für textile Herstellung zu finden, der zu Preisen fertigt, mit denen unsere Produkte im Wettbewerb bestehen können. Bei Nischenprodukten, z. B. für Lastenräder, ist das weniger ein Problem. Hier fertigen wir teilweise auch noch in Deutschland. Aber bei Massenprodukten wie Akku-Schützern müssen wir auf den Preis achten, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Deshalb sind wir gezwungen, nach Asien zu gehen.
Das ist interessant. Denn im Fahrradbereich wird ja viel über das Thema Reshoring, also die Rückholung der Industrie nach Europa, gesprochen. Warum haben Sie andere Erfahrung?
Wir reden über Textilfertigung. Und da gibt es einfach in Europa aktuell zu wenig. Und die, die es noch gibt, z. B. in Portugal, sind von den Preisen auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland. In der Fahrradindustrie scheint es noch anders zu sein, weil es da andere Subventionen gibt. Aber in der Textilproduktion sind die Fabriken nicht mal ansatzweise konkurrenzfähig zu Asien. Es ist natürlich gut, dass sich die Preise in den europäischen Ländern weiter angleichen, aber für eine konkurrenzfähige Textilproduktion ist es nicht mehr möglich, in Europa zu produzieren – zumindest in unserem Bereich. Im hochwertigeren Modebereich scheint es wieder zu funktionieren. Da scheint Portugal als Produktionsort interessant zu sein, was dann aber wieder die Fabriken auslastet.
Steigende Containerpreise und ein drohender Handelskrieg könnten eine Produktion in Asien schnell verteuern. Mit wie viel Sorge blicken Sie auf die Weltpolitik?
Die steigenden Containerpreise sind natürlich ein Problem, das uns beschäftigt und direkt betrifft. Die Handelskonflikte würden uns indirekt betreffen, da sie generell nicht zu Gunsten der deutschen Wirtschaft sein dürften. Was mir mehr Sorgen bereitet, ist der drohende Konflikt zwischen China und Taiwan. Würde in Taiwan ein Konflikt ausbrechen, dann hätten wir einen Produktionsausfall von rund 60 Prozent unserer Produkte. Die Transportwege sind teuer, die Vorplanung ist schwer, die Abläufe sind langwierig – es spricht also eigentlich sehr viel dafür, wieder nach Europa zu kommen.
Wie wichtig ist der Standort Deutschland deshalb für Sie weiterhin?
Es ist für uns extrem wichtig, hier Produktionsstandorte zu haben. Hier können wir flexibel agieren, kleine Stückzahlen produzieren, einmal etwas ausprobieren. Deshalb schauen wir ja auch weiterhin, ob wir etwas Passendes in Europa finden.
Was muss sich in Deutschland ändern, damit Sie die Produktion wieder zurückholen?
Die Lohnnebenkosten sind aktuell einfach nicht mehr konkurrenzfähig. In der Textilbranche werden nicht die höchsten Löhne bezahlt, aber die Abgaben für Unternehmen sind hoch. Außerdem sind die Energiekosten einfach zu teuer. Das hemmt die Ansiedlung von produzierendem Gewerbe.
Sie verarbeiten viel recyceltes Material. Ist das ein Benefit gegenüber Kundinnen und Kunden?
Auf jeden Fall. In den letzten Jahren wurde unsere Marke dadurch sehr gestärkt, weil sich Menschen bewusst für unsere Produkte entscheiden. Wir müssen das Thema in unserer Kommunikation aktuell aber zurückfahren. Es gibt eine neue EU-Gesetzgebung und wir können aktuell nicht rechtssicher nachweisen, dass wir die erforderlichen Maßnahmen treffen – obwohl wir seit Firmengründung auf recycelte Materialien setzen und Teile unseres Rohmaterials eigentlich von anderen Firmen weggeworfen würden.
Sind Bürokratie und schnelle Gesetzgebungen Hemmnisse, gerade für kleinere Unternehmen?
Klar hemmt uns das in unseren täglichen Abläufen und verursacht Kosten. Aber man kann nicht immer auf der Bürokratie rumreiten. Generell finde ich es schon wichtig, dass eine Verschärfung bei der Gesetzgebung gemacht wurde. Der Begriff Nachhaltigkeit wurde schon sehr inflationär benutzt. Auch bei den Nachbesserungen zum Produktsicherheitsgesetz kommt einiges auf uns zu. Die Richtung ist eigentlich richtig, die Frage ist nur: Wie wird das Gesetz durchgesetzt? Wenn ich auf die großen Billig-Anbieter wie Temu schaue: Die überfluten aktuell den Markt mit billiger Ware, die nicht den europäischen Vorschriften entspricht.
Die Nachfrage bei Shein, Temu oder Action steigt jedoch – trotz aller Kritik. Ist der Preis das ausschlaggebende Argument oder gibt es noch weitere Gründe, warum die Menschen dort vermehrt einkaufen?
Es ist eine Mischung aus Unwissenheit und Verlockung durch den Preis. Viele setzen sich nicht damit auseinander, wie sich die günstigen Preise zusammensetzen. Aufwendige Produkttests oder auch Materialprüfungen sind nicht nachvollziehbar. Das verstößt gegen die bestehenden Gesetze, darf aber trotzdem verkauft werden. Mir erschließt sich das nicht.
Ein strukturelles Problem in Deutschland ist der Fachkräftemangel. Ist Ihr Unternehmen davon betroffen?
Bei uns ist es eher so, dass die Menschen auf uns zukommen, weil sie gezielt bei uns arbeiten möchten. Die, die sehr gut passen, versuchen wir zu binden. Aber wir sind ein kleines Unternehmen. Wir brauchen gar nicht so viele Fachkräfte. Bei unseren regionalen Partnern konzentrieren wir uns auf einen Kern von zwei Werkstätten für Menschen mit Behinderung, mit denen wir schon seit über zehn Jahren zusammenarbeiten. Bei unseren jetzigen Partnern ist die Fluktuation der Mitarbeitenden und Betreuenden gering.
Wie stehen Sie zu den Plänen, die Migration einzudämmen bzw. auch Migrant:innen abzuschieben?
Persönlich sind wir kaum betroffen. Wir beschäftigen aktuell kaum Migrant:innen. Das ist keine Absicht, sondern Zufall. Für den deutschen Arbeitsmarkt wären die Umsetzungen der Pläne allerdings verheerend. Wir stehen als Unternehmen für Toleranz und Weltoffenheit. Deshalb ist es für mich nicht nachvollziehbar, solche Pläne überhaupt zu entwickeln.
Hätten Sie noch einen Wunsch an die neue Bundesregierung?
Einen persönlichen Wunsch nicht, sondern eher eine Bitte: keine Subventionen für die Automobilbranche! Das würde der Autobranche vielleicht kurzfristig einen Nutzen bringen, langfristig jedoch nicht. Dafür würde aber der Konsum in der Fahrradbranche weiter leiden. Auch wäre es wichtig, wieder mehr in die Infrastruktur fürs Fahrrad zu stecken. Wenn wir uns Berlin ansehen, ist die Verkehrswende erstmal vorbei für die nächsten Jahre. Das frustriert mich extrem.
Zur Person:
Philipp Elsner-Krause ist seit mehr als zehn Jahren zusammen mit Joachim Leffler als Geschäftsführer des Accessoires-Anbieters Fahrer Berlin tätig.
Interview: Thomas Geisler