Nach Kinderanhängertest von Stiftung Warentest: Was sind eigentlich PFAS?
Beim Fahrradanhängertest der Stiftung Warentest von Ende Juli 2024 wurden alle zehn darin getesteten Anhänger mit „mangelhaft“ bewertet. Die Abwertungen kamen allerdings in erster Linie nicht durch sicherheitstechnische Probleme zustande, sondern aufgrund von Schadstoffnachweisen, genauer gesagt PFAS. Der Artikel bekam dennoch die reißerische Überschrift „Totalausfall“. „Das ist eine fadenscheinig begründete Stimmungsmache gegen Kinderanhänger statt ein seriöses Testurteil. Selbstverständlich sind PFAS auch in Kinderanhängern ein Problem. Aber sie sind keine Gefahr für die Gesundheit der Kinder. Es ist verantwortungslos, Ängste zu schüren und Kinderanhänger als grundsätzlich gefährlich darzustellen. Das Gegenteil ist richtig: Der Kinderanhänger ist und bleibt eine sehr sichere Methode, um den Nachwuchs mit dem Rad zu transportieren – das zeigt auch die offizielle Unfallstatistik. Unabhängig davon sollte die Branche in Sachen PFAS besser werden“, ordnet Wasilis von Rauch, Geschäftsführer beim Branchenverband Zukunft Fahrrad, den Test ein. Aber was sind PFAS eigentlich und was ist das Problem damit? Das gilt es zu klären.
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Laut dem Verbrauchermonitor (02/2024) des Bundesinstituts für Risikobewertung gaben bei einer Umfrage 61 Prozent der Befragten an, noch nie etwas von PFAS gehört zu haben. Lediglich zehn Prozent fühlten sich ausreichend informiert.
PFAS-Schadstoffe sind überall
Die Abkürzung bezeichnet eine Gruppe von per- und polyfluorierten Alkylverbindungen. PFAS werden eingesetzt, um beispielsweise bei Textilien eine fett‑, wasser- und schmutzabweisende Wirkung zu erzielen. Im Falle des Kinderanhängers also einen wasserabweisenden Schutz im Verdeck, damit das Kind während der Fahrt nicht nass wird. PFAS sind aber auch in vielen anderen Produkten enthalten: in Kosmetika, Arzneimitteln, To-Go-Kaffeebechern und sogar Akkus. Anders als bei anderen Schadstoffen werden Menschen, auch Kinder, durch den direkten Kontakt mit PFAS nicht belastet. Das Problem an PFAS ist ein anderes: Sie sind menschengemacht und werden in der Natur nicht abgebaut. Deshalb heißen sie auch Ewigkeitschemikalien. Durch Abrieb und Entsorgungen von belasteten Produkten nimmt der PFAS-Gehalt in der Umwelt immer weiter zu. Die Schadstoffe sind mittlerweile in der Luft, im Wasser, im Boden oder auch in Lebewesen nachweisbar. Durch den Verzehr von belasteten Lebensmitteln, wie Fisch und Fleisch, kommen die Schadstoffe wieder zurück in den Menschen und können das Krebsrisiko erhöhen.
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Eine Studie aus den USA zeigt: Wer öfter Fisch, Fleisch, Eier oder Reis isst, riskiert eine höhere PFAS-Belastung. Außerdem konnten PFAS in Muttermilch nachgewiesen werden.
EU-Verbot setzt Hersteller unter Druck
Der Druck auf die Hersteller, PFAS in ihren Produkten zu eliminieren, hat deshalb in den letzten Jahren enorm zugenommen. Einige Verbindungen sind bereits verboten, die EU prüft aktuell ein Gesetz, die komplette PFAS-Gruppe zu untersagen. Dabei muss man als Hersteller abwägen: Die Erwartung von Kunden und Kundinnen an einen Kinderanhänger ist, dass die Funktionalität gegeben ist und das Kind im Anhänger trocken transportiert wird. Bislang setzen die Hersteller auf ein Polyestergewebe, das mit PFAS beschichtet ist. „Wir sind jetzt aufgefordert, uns nach Alternativen umzusehen, die akzeptabel sind“, nimmt Andreas Gehlen, Geschäftsführer des Kinderanhängerherstellers Croozer, als Arbeitsauftrag aus dem Test mit. Das Problem: Bislang wisse niemand, welche Substanzen von Stiftung Warentest getestet und als schädlich identifiziert wurden. Bei PFAS gebe es rund 40.000 unterschiedliche Verbindungen. In den eigens veranlassten Tests hätte man beispielsweise bei Croozer keine schadstoffbedenklichen Stoffe gefunden. Man könne daher noch gar nicht beurteilen, ob man die von der Stiftung Warentest beanstandeten Substanzklassen überhaupt eliminieren kann, ohne dabei Einbußen bei der Funktionalität zu haben. „Das ist ein Prozess, der erst anlaufen muss“, so Gehlen.
Alternativen sind erhältlich
Wie lange ein derartiger Prozess dauern kann, zeigt das Beispiel von Vaude. Der Outdoor-Ausrüster hat sich bereits 2010 auf den Weg gemacht, PFAS in seinen Produkten abzuschaffen. Damals gab es noch wenig Materialalternativen, die auch die gewünschte Funktionalität erfüllten. „Heute ist der Umstieg einfacher als 2010, als man noch ganz am Anfang stand. Wir sehen heute keine Einbußen bei der Performance im Vergleich zu PFAS-Textilien“, erklärt Bettina Roth, Leiterin Qualitätsmanagement und CSR-Lieferkette bei Vaude. Die verwendeten Materialien basieren auf PU oder Paraffin. Allerdings müssten die Materialien öfter imprägniert werden, um die Funktionalität zu erhalten. Mittlerweile wären die umweltfreundlicheren Alternativen auch preislich auf einem ähnlichen Niveau wie mit PFAS belastete Produkte. So kann der Umstieg für Endkunden und ‑kundinnen leichter fallen. „Das nehmen die Verbraucher gerne in Kauf, wenn sie die Garantie haben, dass sie ein weniger giftiges und umweltfreundlicheres Produkt haben“, so Roth. Vaude hat es bereits geschafft, Bekleidung, Schuhe und Schlafsäcke PFAS-frei anzubieten. Bis 2025 sollen Zelte folgen, die aktuell noch eine PFAS-Beschichtung haben – was vom Funktionsprinzip her ungefähr vergleichbar mit Kinderanhängern ist.
Lieferketten untersuchen
Erreicht hat das Vaude, indem man sich früh ein hohes Wissen rund um Chemikalien und Prozesse angeeignet hat. „Das ist eine Managementkompetenz, die man heute haben muss. Auch weil die Gesetzgebung immer komplizierter wird“, sagt Roth. Ansonsten rät sie dazu, regelmäßig aktiv bei den Lieferanten nach der Verwendung von bestimmten Substanzen nachzufragen und gemeinsam an Alternativen zu arbeiten. „Nicht einfach nur Substanzlisten unterzeichnen, sondern bei kritischen Punkten nachfragen und sich auch Testberichte zeigen lassen“, rät die Chemikalien-Expertin. Zertifizierungen helfen, um einen besseren Überblick zu bekommen. Aber auch langfristige Beziehungen zu Lieferanten würden sich auszahlen, da man gemeinsam an Lösungen arbeiten kann. „Das ist ein Aufwand, aber das ist auch ein Aufwand, den wir betreiben müssen, wenn wir das Thema ernst nehmen und auf PFAS verzichten möchten“, fasst Roth zusammen.
Sensibilisierung ist da, Prozesse laufen an
Das sieht auch Andreas Gehlen so: „Wir sind sensibilisiert dafür und es gibt keinen Grund, dass PFAS auf jeden Fall bleiben müssen. Aber man sollte ehrlich bleiben und sagen, was geht und was nicht.“ Der Test der Stiftung Warentest sei für ihn deshalb in erster Linie ein Ansporn. „Es ist völlig in Ordnung, dass die Stiftung Warentest auf ein Problem hinweist, für das es im Moment noch keine durchgehende Lösung gibt. Dazu gehört aber auch, dass man schauen darf: Wie komme ich zu einer Lösung?“ Die Berichterstattung hätte er sich deshalb weniger tendenziös gewünscht. Die Stiftung Warentest hätte beispielsweise auch ihre eigenen Erfolge zeigen können. So waren bei den Kinderanhängertest vor über zehn Jahren noch die krebserregenden PAKs ein großes Thema. Mittlerweile sind die Stoffe in den Kinderanhängern kaum noch zu finden – auch durch den Verdienst der Stiftung Warentest, die auf das Problem frühzeitig hingewiesen hat. Gehlen zeigt sich deshalb „grundsätzlich optimistisch“, PFAS in den Produkten zu eliminieren.