Nutzungsdruck im Wald – Branche in der Pflicht
So leergefegt die Straßen im ersten Corona-Lockdown waren, so voll wurde es im Wald. Verständlich: Die täglichen Pendelwege fielen weg, Fitnessstudios waren geschlossen, Freizeitbeschäftigungen für Klein und Groß waren gestrichen. Doch Menschen brauchen Bewegung! Während sich nach der Wiederöffnung des Landes die Straßen schnell wieder füllten, wurde der Wald aber nicht im selben Maße leerer. Viele Menschen schienen Gefallen an Outdoor-Aktivitäten (wieder-)entdeckt zu haben. Mountainbiken, Bikepacking, Gravel-Touren. Einerseits freut mich das ja, denn ich genieße das Draußensein selbst und teile gern, was ich mag; außerdem trage ich als Fachjournalist mein kleines Scherflein zur Popularität bei. Andererseits wuchs der Druck durch die Nutzung gewaltig. Auf einer Mountainbike-Runden treffe ich plötzlich so viele Waldspaziergänger:innen wie sonst in drei Jahren nicht. Und die sportlichen Biker:innen auf dem Weg in oder aus dem Wald sind sichtbar zahlreicher als zuvor. Infolgedessen werden Wege ausgefahren, illegale Bike-Trails im Wald mehr und abenteuerlicher. Man merkte auch an den Reaktionen anderer, dass das nicht nur Entspannung bringt. Üblicherweise grüßen sich Wanderer:innen, Reiter:innen, Forstarbeiter:innen und Radler:innen im Wald. Das nimmt ab. Auch unter den Biker:innen selbst.
Zukunft geht nur miteinander
Wir suchen alle immer gern die Schuld bei den anderen. Für Mountainbiker:innen wuchs das Feindbild Forstwirtschaft. Denn der Erosionsvorwurf, der ihren leichten Rädern gern gemacht wird, wirkt lächerlich winzig im Vergleich zur Verwüstung, die die Harvester bei der industriellen Baumernte hinterlassen. Stark wuchsen aber auch die Grabenkriege innerhalb der Community. Oma Hilde mag es vielleicht wurscht sein, wer sie da viel zu schnell und ohne zu klingeln überholt hat. Wer sich auf gemeinsam genutzten Wegen wie die Axt im Walde aufführt, braucht sich über Gegenwind nicht zu wundern. Dabei wär’s so einfach: anhalten, grüßen, weiterfahren. Nehmt Rücksicht auf die Schwächeren! Für traditionalistische Radsportler:innen wiederum ist klar: Das Problem heißt E‑Mountainbike. Zu viele Leute auf Rädern, die sie nicht beherrschen. Zu viele Neulinge ohne Kodex im Wald, die weiter fahren und höher hinauf kommen als die Beine allein zuvor erlaubten. Kurz: „erschwindelte Freuden“; „nur Bergaufschmerz berechtigt zu Bergabspaß“. Dass wir jedoch hier einer Interessengemeinschaft beim starken Anwachsen zusehen, die mit geeinter Stimme so unglaublich viel mehr erreichen könnte als in Splittern, scheint utopisch. Wir brauchen dringend mehr Kanalisierung! Bei den Wegen: Ausgewiesene MTB-Strecken in realistischer Stadtnähe bündeln den Zuspruch und entspannen das Verhältnis im Rest der Wälder wieder für alle. In den Gremien: Die meisten Interessengruppen haben eine Lobby. Mountainbike-Vereine in regem Kontakt mit offiziellen Stellen gibt es nur eine Handvoll, landesweit. Kommunen haben oft niemanden zum Ansprechen – dabei sind Biker:innen längst nicht nur waghalsige Action-Kids.
Branche am Zug
Neben dem umsichtigen Engagement Einzelner wünsche ich mir einen erkennbar stärkeren Einsatz der gesamten Fahrradbranche. Der Bike-Boom gibt Bestätigung und Gewinn – das sollte in einen Kreislauf münden. Handel und E‑Bike-Verleih müssen ihre Kundinnen und Kunden sensibilisieren, schulen, „enablen“ – im Sinne der eigenen Sicherheit und der der anderen. Die Industrie muss Strukturen fördern: Vereine, örtliche Entwicklung, Lobby, Nachwuchs, Kultur, Medien. Tourismusbetriebe müssen nachhaltige Angebote schaffen und zur Ausgewogenheit im Diskurs beitragen.