„Uns werden zunehmend Steine in den Weg gelegt“
Zum Unternehmen
Ortlieb ist ein mittelständisches Unternehmen mit rund 300 Mitarbeiter:innen, das vor knapp über 40 Jahren von Hartmut Ortlieb gegründet wurde. Schwerpunkt sind seit Beginn wasserdichte Fahrradtaschen, aber auch Gepäckträger, Rucksäcke und Outdoor-Equipment zählen zum Sortiment. Das Unternehmen sitzt im mittelfränkischen Heilsbronn, wo rund 99 Prozent des Produktportfolios gefertigt werden. Die Lieferkette ist möglichst regional, d. h. auch Rohmaterialien sollen aus direkter Umgebung kommen. So stammen rund 70 Prozent der eingesetzten Materialien direkt aus Deutschland. Der Verkauf erfolgt in fast 50 Länder weltweit.
pressedienst-fahrrad: Herr Esslinger, warum ist es für Ortlieb so wichtig, am Standort Deutschland festzuhalten? Gerade jetzt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wo andere große deutsche Unternehmen bereits Stellenabbau angekündigt haben.
Martin Esslinger: Für uns ist es ein wichtiger Teil unseres Markenversprechens, dass wir nahezu 100 Prozent „Made in Germany“ fertigen. Das machen wir schon seit über 40 Jahren, das gehört zu unserer Marke und ist für uns ein großes Unterscheidungsmerkmal. Von Anbeginn war es auch immer das Interesse unseres Eigentümers Hartmut Ortlieb, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Das ist unsere Strategie: Unserer Produktion und damit unsere Basis wird immer am Standort Deutschland sein.
Wie wirkt sich das in der aktuellen Situation aus? Sind nur die Energiepreise ein Problem und was kann eine künftige Bundesregierung besser machen?
Aktuell gibt es definitiv einige Baustellen und Herausforderungen. Die Energiepreise sind ein Thema. Wir versuchen, mit Solarpanels eigenen Strom zu produzieren, haben aber noch nicht die Speicherkapazitäten, um Spitzen abzufangen. Wir sind weiterhin von externen Stromquellen abhängig, und da drückt in der Produktion der Strompreis. Zudem hemmt die Bürokratisierung. Die Veränderungen in der Zukunft werden zunehmend disruptiver sein, dann muss ich als Unternehmen flexibel reagieren. Uns werden zunehmend Steine in den Weg gelegt, anstatt es flexibler und einfacher zu gestalten. Viele der Vorgaben aus dem Bereich CSR stammen allerdings nicht aus Deutschland, sondern von der EU, wie die Empowering Consumers Directive. Für uns ist Nachhaltigkeit seit der Gründung ein Teil unserer DNA. Wir stehen für Nachhaltigkeit, aber Nachhaltigkeit muss wirtschaftlich Sinn machen. Neue Verordnungen sind grundsätzlich richtig und wichtig, um beispielsweise das Thema Greenwashing zu reduzieren, aber die Art und Weise, wie umfangreich diese mittlerweile sind, ist teilweise nicht praktikabel. Mir kommt es so vor, als hätte man bei manchen Behörden den Kontakt zur Wirtschaft verloren, gerade zu den Mittelständlern. Wir stellen uns diesen Herausforderungen, aber haben manchmal das Gefühl, dass es uns von unserem Kerngeschäft entfremdet und vor große Probleme stellt.
Hintergrund
Die Empowering Consumers Directive ist eine Richtlinie, die Greenwashing und Social Washing unterbinden soll. Die Vorschriften sehen vor, dass die Produktkennzeichnungen klarer und vertrauenswürdiger in Bezug auf nachhaltiges Wirtschaften gemacht werden. Verwendung von allgemeinen Umweltaussagen ist ohne Nachweis verboten. Ab 2026 muss die Richtlinie in nationales Recht überführt werden.
Wäre es eine Maßnahme, wegen der hohen Bürokratie aus der EU auszutreten?
Allein darüber nachzudenken, ist aus meiner Sicht sinnbefreit. Mit einem EU-Ausstieg werden die Probleme nicht gelöst. Vielleicht werden Teile der Bürokratie dadurch verschlankt, aber gleichzeitig wird bei anderen Sachen wieder mehr Bürokratie aufgebaut. Der europäische Binnenmarkt ist für uns wichtig. Ein Ausstieg würde im länderübergreifenden Geschäft keinerlei Mehrwert bieten. Deshalb braucht man darüber gar nicht nachzudenken. Darüber hinaus wird Deutschland als Exportnation vor dem Hintergrund der aktuellen Tendenzen weg von der Globalisierung hin zu einem stark national getriebenen Protektionismus nur im Rahmen eines möglichst integrierten europäischen Binnenmarktes erfolgreich bleiben.
Wenn man jetzt auf die Automobilindustrie blickt, sieht man, dass chinesische Hersteller bei der Qualität aufholen. Ist „Made in Germany“ gar kein Qualitätsversprechen mehr, auch im internationalen Geschäft?
Für uns ist es weiterhin ein starkes Argument, weil wir zu den wenigen im Zubehörbereich unserer Branche gehören, die noch in Deutschland produzieren. Das zieht im Verkaufsgespräch und löst Aha-Effekte aus. Aber auch unsere internationalen Partner spiegeln uns, dass es für sie weiterhin ein wichtiges Verkaufsargument ist, weil es für unsere hochwertigen, reparierfähigen Produkte steht.
Befürchten Sie, dass „Made in Germany“ von Nationalisten verstärkt genutzt wird?
Ich kann mir vorstellen, dass es in Zukunft stärker instrumentalisiert wird. Aber anstatt sich zurückzuziehen, muss man sich klar dagegen positionieren. Jedes Land braucht eine lokale Industrie. Das ist wichtig für die Wirtschaft. Aber das hat nichts mit der Nationalität der Mitarbeitenden zu tun. Es heißt ja nicht „Made by Germans“. Wir sind ein Unternehmen mit Mitarbeitenden aus 21 Nationen. Wir unterstützen deshalb die Kampagne „Made in Germany – made by Vielfalt“, weil wir sehen, dass wir eine sinnvolle Migrationspolitik brauchen, die uns hilft, unseren Wohlstand langfristig zu sichern. Wir stehen dafür, dass „Made in Germany“ nur mit Vielfalt funktioniert, auch wenn in bestimmten Kreisen versucht wird, etwas anderes daraus zu machen.
Eine Idee in der EU ist es, ein Einheitslabel „Made in Europe“ zu etablieren. Wie sehen Sie das?
Ich sehe darin keinen Benefit. Einerseits wird „Made in Germany“ verwässert, gleichzeitig haben andere Nationen dadurch keinen Vorteil, weil keine große, zielführende Aufwertung stattfindet.
Bei der Fertigung in Deutschland kommen wir schnell an den Punkt, wo es um das Thema Fachkräfte geht. Ortlieb ist im Großraum Nürnberg angesiedelt, wo auch einige große Firmen ihren Sitz haben. Spüren Sie Probleme, Fachpersonal zu finden?
Unser Gesamtpaket aus Produkt, Unternehmensphilosophie und Arbeitsklima hat eine starke Anziehungskraft, auch wenn wir gehaltstechnisch mit den großen Firmen in der Region nicht mithalten können. Das wird für jeden Mittelständler in Zukunft eine Herausforderung. Der können wir uns nur stellen, indem wir auch beim Thema Ausbildung mehr investieren. Mit Themen wie flache Hierarchien und Selbstverantwortung müssen wir versuchen zu punkten und gleichzeitig darauf hoffen, dass es durch eine gute Migrationspolitik gelingt, das Arbeitskraftpotenzial in Deutschland zu erhöhen. Da geht es nicht nur um Einwanderung, sondern auch darum, was wir den Leuten bieten können, um sie für uns zu gewinnen.
Es gab den Vorschlag der IG Metall, dass jedes Unternehmen, das in Europa verkauft, auch hier Stellen schaffen muss. Wie sehen Sie den Ansatz?
Für die Schlagkraft einer Wirtschaftsregion ist das grundsätzlich sicherlich richtig und wichtig. Aber: Wenn es nicht mit Maßnahmen flankiert wird, die es schaffen, mehr Fachkräfte in unseren Wirtschaftsraum zu bringen, dann wird die Situation beim Fachkräftemangel vermutlich noch verschärft.
Warum ist es für eine Region wichtig, dass es weiterhin Firmen gibt, die in Deutschland fertigen?
Man ist als Unternehmen fester verwurzelt. Wir unterstützen lokale Initiativen wie die Feuerwehr, Kitas oder weitere Betreuungseinrichtungen. Zudem veranstalten wir mit dem Mittelfranken Cup ein großes Jedermann-Radrennen. Wir sind uns unserer Verantwortung für die Region bewusst und können das Engagement andersherum auch wieder für uns, als attraktiver Arbeitgeber, nutzen.